Auf den Flaniermeilen setzen die Männer auf enge Oberteile, die Frauen auf Blumen und Dekolletée.

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"Möglichkeiten verpflichten", notierte Walter Serner, Schriftsteller und Dadaist, in den 1920er-Jahren. Ein Wahlspruch, nein, eher ein Versprechen, dem sich Erotomanen bis heute verpflichtet fühlen. Beherzt reagieren sie auf alles, was sie am Wegesrand anlächelt.

"Es wäre jetzt dringend an der Zeit, mal wieder auswärts zu essen", erklärte mir gestern etwa ein Bekannter aus Berlin. Der Gute ist eine seltene Mischung: einerseits Lottermann, andererseits einer, der die Corona-Schutzmaßnahmen noch immer ernst nimmt. Das ist mehr als ein Spagat, das klingt nach sportlicher und logistischer Höchstleistung. – "Was schwebt dir vor?", frage ich interessiert. – "Am sichersten wäre wohl irgendeine Fetischnummer mit Gasmasken", kichert er.

Psycho-Dancing

Nicht jeder plant so weit voraus. Die meisten bringen sich jetzt einfach einmal ins Spiel. Man braucht sich bloß auf einer der vielen Flaniermeilen umzusehen: Die Männer tragen auffallend enge T-Shirts oder Stretch-Hemden, am Handgelenk baumelt kokett die neueste Designer-Herrenhandtasche. Die Frauen arbeiten mit Blumen und Busen: Das Dekolleté bebt, das bodenlange florale Sommerkleid erinnert an einen hübschen Hotelvorhang.

Erlebnishungrige gehen auf Partys. "Oh, man tanzt wieder!", rufen sie und prosten einander zu. Schauen einfach mal, was passiert. Und das ist die gute Nachricht: Es passiert eigentlich immer was – und sei es nur eine Schlägerei –, weil man in Österreich trinkfest und nicht fad ist. Wer nach zwei Achteln heimgeht, dessen Nummer wird gelöscht.

Bei all der neuen Lust aufs Abenteuer – in einem stillen Moment erinnert man sich vielleicht: Richtige Höhenflüge entstanden nie durch Blitzkriege, sondern durch langwierige Schachpartien. Der Brite nennt diese Methode Testing the Waters – was in der Liebe so viel heißt wie: Man schaut, ob freiwillig oder nicht, was gehen könnte. Bleibt ergebnisoffen, zieht sich zurück – bis zum nächsten Anlauf.

Eine Taktik, die man aus der Wirtschaft kennt. Ebenso das Prinzip der künstlichen Verknappung: Die Kombination aus reduziertem Warenangebot und Steigerung der Nachfrage durch gezieltes Marketing, das treibt die Preise in schwindelerregende Höhen. Selten alles – und das nie sofort. So verkaufen sich Luxusgüter. Und so kocht auch das Schicksal die Sensationen des Zwischenmenschlichen.

Langer Atem

Doch Warten ist nicht jedermanns Sache in Zeiten von Klick, wisch und weg. "Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach" lautet einer dieser dummen Kalendersprüche – erfunden, um uns den Drang zum Spektakulären abzugewöhnen.

Ungeduldige halten sich da lieber an das jahrzehntelang erprobte Motto von Sängerin Cher: "Warum nicht ein paar Falsche nach Hause nehmen, während man auf den Richtigen wartet?" Ganz ähnlich sieht das auch mein Freund aus Berlin: "Bei mir ist viel los, weil ich grundsätzlich nicht Nein sage. Man glaubt ja im Moment immer an die große Liebe." (Ela Angerer, RONDO, 2.7.2020)