Hongkong – Die Polizei in Hongkong hat bereits wenige Stunden nach Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes die erste Verhaftung auf dessen Grundlage vorgenommen: Der Mann habe eine Flagge in der Hand gehalten, auf der für die Unabhängigkeit des Stadtstaats geworben wurde, teilte sie mit. Bilder in sozialen Medien zeigten den Mann mit schwarzem T-Shirt, vor dem auf dem Gehsteig noch eine Flagge mit der Aufschrift "Free Hongkong" zu sehen war. Offenbar aus juristischen Gründen hatte der Mann der Forderung ein sehr klein geschriebenes "Nein zu" vorangestellt. Später wurden sechs weitere Menschen wegen ähnlicher Vergehen festgenommen. "Das Eintreten für die Unabhängigkeit Hongkongs ist gegen das Gesetz", sagte Hongkongs Sicherheitsminister John Lee vor Reportern.

Bei einer anschließenden Protestkundgebung wurden etwa 180 Personen festgenommen. Die Polizei hatte Proteste eigentlich verboten. Zur Begründung war auf die Corona-Pandemie und die "anhaltende soziale Unruhe" in der asiatischen Hafenstadt verwiesen worden.

Trotz des Kundgebungsverbots versammelten sich tausende Demonstranten in der Innenstadt, um am Jahrestag der Übergabe an China für den Erhalt der Autonomie und für Demokratie zu demonstrieren. "Widerstand bis zum Ende" und "Unabhängigkeit für Hongkong", skandierten sie. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas gegen die Kundgebungsteilnehmer ein. Dabei wurden Demonstranten sowie Journalisten getroffen.

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Die Polizei ging gegen die Kundgebungsteilnehmer vor und setzte unter anderem Wasserwerfer und Tränengas ein.
Foto: REUTERS/Tyrone Siu

Chinas Präsident Xi Jinping hatte das Gesetz am Dienstag unterzeichnet. Es richtet sich vor allem gegen Aktivitäten, die von Peking als subversiv, separatistisch oder terroristisch angesehen werden. Es soll auch "heimliche Absprachen" von Aktivisten mit Kräften im Ausland bestrafen. Für Verstöße gegen das Gesetz droht bis zu lebenslange Haft.

Wer von der chinesischen Polizei – die laut dem Gesetz in Hongkong tätig werden darf – auf Basis der Regelungen verhaftet wird, muss mit einer Befragung und Haft auf dem chinesischen Festland rechnen. Die Regelungen, die am Dienstagabend bekannt geworden waren, sind damit deutlich schärfer als erwartet. Die pekingtreue Regierungschefin Carrie Lam äußerte die Hoffnung, dass mit dem neuen Sicherheitsgesetz wieder "Frieden" einkehren werde.

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Demonstrantinnen und Demonstranten werden von der Polizei in Hongkong abgeführt.
Foto: AP / Kin Cheung

Die demokratische Opposition in Hongkong befürchtet, zum Ziel des Gesetzes zu werden, ihre Partei Demosisto stellte alle Aktivitäten ein. "Mit drakonischen Strafen hängt dieses Gesetz wie ein Damoklesschwert über der Zivilgesellschaft und der Business-Community der Stadt", hat der Aktivist Joshua Wong erst kürzlich gesagt. "Hongkong steht an der Schwelle zum Kollaps. Ich rufe die Welt auf, Peking dazu zu bringen, das Gesetz zurückzunehmen."

Verurteilung durch EU, Großbritannien und USA

Ungeachtet weltweiter Kritik hatte der Ständige Ausschuss des nicht frei gewählten chinesischen Parlaments in Peking das bis zu seinem Inkrafttreten geheim gehaltene Dekret einstimmig verabschiedet. Es stößt international auf scharfe Kritik. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Dienstag, die EU verurteile die Entscheidung. "Die Europäische Union betrachtet es als wesentlich, dass die bestehenden Rechte und Freiheiten der Bewohner Hongkongs vollständig geschützt werden", fügte Außenbeauftragter Josep Borrell im Namen der EU am Mittwoch hinzu. Dazu gehörten sowohl die Rede- und Pressefreiheit als auch die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit.

Großbritanniens Premier Boris Johnson sagte am Mittwoch, das neue Sicherheitsgesetz verletze Hongkongs Autonomie. Der britische Wirtschaftsminister Alok Sharma erklärte, London stehe hinter den Menschen in Hongkong.

"Widerstand bis zum Ende" und "Unabhängigkeit für Hongkong", skandierten Demonstrierende am Mittwoch.
Foto: DALE DE LA REY / AFP / APA

Das neue Gesetz ist der bisher weitestgehende Eingriff in die Autonomie der Sonderverwaltungsregion, damit umgeht die kommunistische Führung das Hongkonger Parlament. Kritiker befürchten ein Ende des Grundsatzes "Ein Land, zwei Systeme", nach dem die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 regiert wird. Amnesty International sprach von der "größten Bedrohung für die Menschenrechte in der jüngeren Geschichte der Stadt". Neben Menschenrechtsgruppen befürchtet auch die Organisation Reporter ohne Grenzen, dass Peking stärker gegen unliebsame Journalisten vorgehen wird.

Die USA haben wegen des Gesetzes damit begonnen, ihre Sonderregelungen für Hongkong auszusetzen. Man sehe sich angesichts des Vorgehens der Kommunistischen Partei Chinas gezwungen, die Politik gegenüber dem Territorium neu zu bewerten, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Montag. Die neuen Maßnahmen seien notwendig zum Schutz der nationalen Sicherheit der USA, da man nicht mehr unterschieden könne zwischen Exporten nach Hongkong und solchen auf das chinesische Festland.

Das US-Handelsministerium gab unter anderem einen Stopp der Auslieferung von Rüstungsgütern und Einschränkungen bei Hightech-Exporten bekannt. Es rief die Regierung in Peking zu einem "sofortigen Kurswechsel" auf. Als Vergeltungsmaßnahme ordnete Peking am Mittwoch an, dass vier US-Medien Einzelheiten über ihre Mitarbeiter und Finanzen in China offen legen müssen. Dafür hätten sie sieben Tage Zeit, sagte der Außenamtssprecher Zhao Lijian.

Peking gegen "Einmischung"

China verwahrt sich gegen eine Einmischung anderer Staaten in Hongkong. Ausländische Regierungen sollten die Lage in der chinesischen Sonderverwaltungszone objektiv beurteilen, sagte Lijian. Die chinesische Führung werde eine Einmischung des Auslandes in seine innerstaatlichen Belange nicht hinnehmen.

"Das geht Sie nichts an", sagte auch Zhang Xiaoming vom Büro des Staatsrats für Angelegenheiten in Hongkong und Macao auf einer Pressekonferenz. Das Gesetz richte sich gegen "eine Handvoll Krimineller" und habe "nicht das gesamte Oppositionslager" zum Ziel, so Zhang. (red, APA, Reuters 1.7.2020)