Wien – Wenige Tage bevor Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ihre Entscheidung darüber bekanntgeben will, wie es mit Österreichs Luftraumüberwachung weitergeht, liegt dem STANDARD die unter Türkis-Blau erstellte und bis heute unter Verschluss gehaltene Empfehlung der Evaluierungskommission ihres Vorgängers Mario Kunasek (FPÖ) vor. Das Ergebnis des 34-seitigen Dokuments mit dem Titel "Interner Bericht der Evaluierungskommission aktive Luftraumüberwachung" und dem Untertitel "Zur Kenntnisnahme Koordinierung", versehen mit dem Datum 27. Juni 2018, wurde dem STANDARD bestätigt – und dürfte für einige mit der Causa befasste politische Entscheidungsträger im Land unangenehm sein, wie auch seine lange Geheimhaltung zeigt.

Ein Eurofighter der österreichischen Luftwaffe bei der Airpower in Zeltweg im September 2019.
Foto: APA / Erwin Scheriau

Denn in dem Papier ist auf Seite 33 unter "Punkt 176" zu lesen, welche "Empfehlungen" dieser Kommission von jenen unter Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) abweichen. Explizit heißt es an dieser Stelle: "Die Evaluierungskommission ist aufgrund von ergänzenden Informationen und der Evaluierung von Preisinformationen bei den Kostenberechnungen zum Ergebnis gekommen, dass der Wechsel zu einer Alternativflotte selbst innerhalb eines 30-jährigen Betrachtungszeitraums nicht jenes Einsparungspotenzial erreicht, das im Bericht der Sonderkommission 'Aktive Luftraumüberwachung' (Name der Soko unter Doskozil, Anm.) ausgewiesen wird."

Doskozil hatte im Wahlkampfsommer 2017 auf Basis vorheriger Berechnungen das Aus für die Eurofighter verkündet, weil deren weiterer Betrieb zu teuer wäre – mit einem anderen Abfangjäger, etwa dem schwedischen Gripen, käme die Republik billiger davon, lautete die Argumentation nach der damals aufgekündigten rot-schwarzen Koalition. Seinen Standpunkt wiederholte Doskozil auch noch, als er schon lange in der burgenländischen Landesregierung war. Seine türkise Nachfolgerin Tanner schloss sich den Eurofighter-Gegnern schon kurz nach ihrer Amtsübernahme im Jänner an. Aber all das erscheint nun in neuem Licht.

Geheime Kehrtwende

Denn die Kehrtwende, mit der die Experten die Anschaffung einer Alternativflotte zum Eurofighter ab Mitte 2018 wieder infrage stellten, wird von der Kommission unter Kunasek damit begründet, dass ihrer "Analyse Informationen zugrunde" liegen, die "im ersten Halbjahr 2017 noch nicht zur Verfügung standen". Doch dazu später.

Hintergrund: Die zur Überschallgeschwindigkeit fähigen Eurofighter in Zeltweg werden vor allem dann eingesetzt, wenn es um die Verfolgung schneller unkooperativer Flugzeuge geht. Um langsamer fliegende Flugzeuge zu verfolgen, reicht es, ihnen einen oder zwei der viel kostengünstiger zu betreibenden Saab 105OE Jet-Trainer hinterherzuschicken, die derzeit in Hörsching stationiert sind. An rund 150 von 365 Tagen eines Jahres erfolgt die aktive Luftraumüberwachung mit den viel langsameren Saab 105OE, die maximal 970 Stundenkilometer schnell sind, das sind etwa 78 Prozent der Schallgeschwindigkeit.

Doch die ursprünglich als "Jagdbomber" angeschaffte Saab 105OE hat kein Bordradar, keine Selbstschutzeinrichtung, keine Nachtsichteinrichtungen und eine unzureichende Bewaffnung. Aus technisch-logistischen Gründen muss der reguläre Ausbildungs- und Einsatzbetrieb des Systems Saab 105OE im Jahr 2020 endgültig eingestellt werden, die Nachbeschaffung wurde aber immer wieder aufgeschoben.

Entscheidung verschleppt

Weil die Eurofighter der Tranche 1 nach dem Vergleich von Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) im Jahr 2007 ebenfalls nachgerüstet werden müssten, hat Doskozil das gesamte System noch einmal nachrechnen lassen – und seinen für den Eurofighter nachteiligen Bericht Türkis-Blau hinterlassen. Doch die ÖVP-FPÖ-Koalition wollte es im Jänner 2018 noch einmal genau wissen – ein halbes Jahr später kam der entgegengesetzte Bericht, der offenbar in den Stahlschrank wanderte und bisher auch dort blieb, weil sich die damaligen Regierungsspitzen um die absehbar unpopuläre Entscheidung drückten.

Zur Erinnerung: Der Bericht der Kommission unter Kunasek wurde zwar den damaligen türkis-blauen Regierungskoordinatoren, dem heutigen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ), zur Kenntnis gebracht – doch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte bekanntlich keine rasche Entscheidung treffen: Rund um einen Ministerrat im Dezember 2018 gab Kurz bekannt, dass man neue Erkenntnisse des dritten U-Ausschusses rund um die Eurofighter und/oder etwaige Gerichtsverfahren abwarten wolle – beides ist bekanntlich bis dato nicht erfolgt.

Vierzig Varianten berechnet

Entscheidungsgrundlagen hätte es allerdings reichlich gegeben, denn der interne Bericht listet im Detail auf, wie vierzig Varianten zur künftigen Luftraumüberwachung durchgerechnet wurden – anhand von acht konkreten Szenarien, die das Bundesheer über Österreich womöglich zu bewerkstelligen hat – "die sichere und erfolgreiche Reaktion auf alle 8 beschriebenen Szenarios ist nur durch überschallschnelle Abfangjäger möglich", erklären die Experten.

Anschließend wurde in "sechs Hauptoptionen" "geclustert", welche Anschaffungsmöglichkeiten infrage kommen – wobei finanziell ein zwanzigjähriger Durchrechnungszeitraum als am aussagekräftigsten qualifiziert wurde.

Und da kommt heraus, dass man mit dem Eurofighter ganz gut weitermachen könnte, wenn man die 2007 abbestellten Systeme zumindest teilweise nachrüstet. Zudem gibt der Bericht von 2018 zu bedenken, dass Österreich ein eigenes Trainingsflugzeug brauchen würde, um bei der Ausbildung von Eurofighter-Piloten nicht völlig vom Ausland (Kosten von bis zu 100.000 Euro pro Flugstunde) abhängig zu sein. Für die Luftraumüberwachung – zur Unterstützung der überschallschnellen Abfangjäger – würden diese Trainer aber nicht mehr eingesetzt. Wenn man allerdings einen Teil der Ausbildung im Ausland belässt und nur eine Flotte von Überschall-Abfangjägern (und keine Jet-Trainer im Inland) aufrechterhält, liegen die Kosten mit Eurofightern über 20 Jahre gerechnet bei 4,0 bis 4,5 Milliarden, eine alternative europäische Flotte käme auf 3,9 bis 4,5 Milliarden.

Tanner am Zug

In fast allen Handlungsoptionen wird einberechnet, dass auch drei zweisitzige Kampfflugzeuge (die für Ausbildungsflüge geeignet sind) beschafft werden. Bei der "Entscheidung zum Weiterbetrieb der Eurofighter Typhoon der Tranche 1" sei "jedenfalls mit der Eurofighter-Typhoon-Betreibernationen jegliche Synergie bei der logistischen Unterstützung zu suchen, um weitere Einsparungspotenziale zu lukrieren". Summa summarum wird daher "empfohlen, zunächst die Entscheidung über das Primärsystem zu treffen und darauf basierend die Beschaffung des Trainersystems zu beauftragen".

In diesen Tagen ist nun Verteidigungsministerin Tanner am Zug, die sich mit dem Hersteller Airbus, einst EADS, im Februar ("Wird mich noch kennenlernen!") überworfen hat – angesichts eines aufsehenerregenden Vergleichs des Konzerns mit der US-Justiz, im Zuge dessen dieser rund um die Anschaffung der Eurofighter in Österreich "politische Zahlungen" in Höhe von 55 Millionen eingeräumt hat.

Die Zeit drängt

Der letzte Kommissionsbericht von 2018 zeigt unter Punkt 177 allerdings auf, dass im Interesse von Österreichs Sicherheit "noch 2018 eine politische Entscheidung herbeizuführen" sei, "um die erforderlichen Beschaffungen 2019 einzuleiten und spätestens 2022 ff zu realisieren, um den Verlust der Fähigkeit zur aktiven Luftraumüberwachung ab 2022 zu verhindern". Und, ebenfalls brisant: In Kunaseks Kommission war unter den Mitgliedern laut Bericht auch zumindest ein "Vertreter" der Finanzprokuratur – diese vertritt Österreich im jahrelangen Rechtsstreit mit Airbus bekanntlich als Anwältin der Republik. "Des Weiteren" sei "festzuhalten, dass das Bundesministerium für Finanzen und der Rechnungshof eine Prüfung des generischen Rechenmodells abgelehnt" hätten.

Das dürfte damit zusammenhängen, dass auch die von Kunaseks Experten errechneten verschiedenen Varianten erhebliche Unsicherheiten und Bandbreiten bei der Kostenentwicklung annehmen – die dem Bericht zugrunde liegenden Preisauskünfte sind ausdrücklich "unverbindlich". Fest steht nur: Für die Luftraumüberwachung werden über die nächsten zwei Jahrzehnte weitere Milliardenbeträge aufzubringen sein – zwischen 3,9 und 5,4 Milliarden sollen es bis 2039 sein.

Kunasek kritisiert türkise Funkstille

Auf Anfrage, warum die Empfehlungen des internen Berichts so lange nicht publik werden durften, erklärt Ex-Verteidigungsminister Kunasek, wie es dazu kam: "Wir haben den Bericht damals der ÖVP übergeben, um eine Lösung zu finden – doch man hat keinerlei Interesse daran gezeigt. Eine Entscheidung erschien dort offenbar zu teuer und zu unpopulär – es herrschte Funkstille." Immer wieder habe er daher versucht, auch zeitlich Druck dafür aufzubauen, weil der Bericht aus seiner Sicht auch noch im Unterausschuss des Parlaments diskutiert werden sollte, um mit allen Parteien über eine Lösung zu beraten. "Doch das passte der ÖVP nicht ins PR-Konzept." Kunasek befürchtet daher, dass sich auch Ministerin Tanner bei ihrer anstehenden Entscheidung zur künftigen Luftraumüberwachung eher "von PR und Umfragen" leiten lassen werde – "anstatt von sicherheitspolitischen Notwendigkeiten". (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 2.7.2020)