In die jugendlichen Gefühlswelten in einem Mädcheninternat mischen sich unheimliche Töne: die beiden Freundinnen aus Bertrand Bonellos "Zombi Child".

Foto: Stadtkino

Rituale unter jungen Frauen: Als Regisseur musste Bertrand Bonello die richtige Distanz finden.

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Mit gehirnschlürfenden, genüsslich an Eingeweiden zuzelnden Zombies hat jener aus Zombi Child nur sehr wenig gemeinsam. Hier gerät ein religiöser Kult in den Kreislauf der Ausbeutung: Ein Kugelfisch wird fein säuberlich zerlegt, daraus eine giftige Substanz gewonnen und die dann wiederum in die Schuhe eines Mannes gestreut. Das Zombie-Pulver verfehlt seine Wirkung nicht. Der Mann bricht zusammen und wird begraben, als gepeinigter Untoter steht er wieder auf, um gemeinsam mit anderen als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage zu schuften.

Mit dieser angeblich verbürgten Episode aus den 1960er-Jahren um Clarvius Narcisse (Mackensen Bijou) führt Bertrand Bonello den Zombie-Mythos zurück an seinen Ursprung. Wiederholt kehrt der Film in Day-for-Night-Aufnahmen, die entfernt an Jacques Tourneurs Klassiker I Walked With a Zombie erinnern, auf die Karibikinsel Haiti zurück. In einem traumähnlichen Zwielicht, zwischen Leben und Tod, folgt er dem Daseinskampf dieses Leidgeprüften hinaus aus der Fremdbeherrschung.

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Eine zweite, damit verschränkte Ebene des Films könnte allerdings kaum gegensätzlicher sein: Sie führt in das Mädcheninternat La maison da la légion d’honneur in Frankreich, einen elitären Ort, wo man sich seit Jahrhunderten mit wippendem Oberkörper begrüßt. Dort folgt der nächste "Stilbruch": Mädchen in Uniform, die, mit Smartphone ausgerüstet, ihre überschießenden Hormone in elegische Kurztextformate gießen.

"Es beginnt immer mit einem Problem: Eine Tür öffnet eine Tür und so weiter." So erklärt Bonello im Interview, wie er die verschachtelte Erzählstruktur von Zombi Child gefunden hat. Der Franzose ist einer der intellektuellen Tüftler des Gegenwartskinos, der aber nie auf die sensorischen Reize des Mediums vergisst. In Haus der Sünde (L’Apollonide, 2011) befasste er sich mit einem Bordell der Jahrhundertwende, im skandalisierten Nocturama (2016) ließ er zuletzt eine Gruppe gelangweilter Jugendlicher die Lust am Terror gegen eine sinnentleerte Gegenwart entdecken.

"Ausgangspunkt von Zombi Child war die Geschichte in Haiti", erzählt er und beschreibt seine Arbeit wie die an der Montage: Bild auf Bild erzeugt ein neues Bild. "Ich wusste, dass ich einen eigenen Blickwinkel finden musste. Ich konnte nicht einfach nach Haiti gehen. Die Perspektive musste französisch sein, so kam ich auf die Teenager, weil sie Zombiefilme mögen." Zu den Unterschieden gesellten sich dann versteckte Links: Das Internat wurde etwa noch von Napoleon gegründet. "Und Napoleon war es, der, als Haiti frei wurde, dort wieder die Sklaverei einführen wollte."

Macht und Ohnmacht

Das Motiv der französischen Kolonialgeschichte, Fragen von Herrschaft und Besessenheit sind im Film unterschwellig präsent. Ein Themenfilm ist Zombi Child deshalb nicht, eher erinnert die Methode an Sampling. Der Historiker Patrick Boucheron bietet mit einer Unterrichtsstunde, der einzig improvisierten Szene im Film, einen Hinweis: Er spricht davon, wie der Liberalismus bestimmte Freiheitsbegriffe verdunkelt hat. Bei Bonello geht es um Geschichte und Gegengeschichte, darum, wie die eine unter der anderen lebendig bleibt. Mélissa (Wislanda Louimat), das einzige schwarze Mädchen im Internat, wird in den Kreis ihrer neuen Freundinnen mit einem Initiationsritual aufgenommen. "Sie hat diese Doppelkultur, aus der sie aber noch wenig zu machen weiß." Aber nicht nur Haiti und Voodoo hallen nach, Bonello schließt stilistisch auch an popkulturelle Kontexte an. Dario Argentos Hexenspuk Suspiria ist eine der Referenzen.

Zugleich weiß Bonello um die heikle Frage der kulturellen Appropriation, die sich mit dem Zugriff auf das Voodoo- und Zombiethema stellt, eine Kultur, die oft genug entstellt wurde. Trotz großer Schwierigkeiten hat er etwa darauf bestanden, Clarvius’ Leidensweg in Haiti zu drehen. Wenn es schließlich das weiße Mädchen Fanny (Louise Labeque) ist, die die Tante ihrer Freundin Mélissa aufsucht, um sich von ihrem Liebeskummer mit Voodoo-Zauber zu befreien, schließt er die Welten kurz: "Da ist nichts Böses in ihrer Geste", sagt Bonello. "Natürlich kann man sagen, sie handle dumm, weil sie mit der anderen Kultur nicht umgehen kann. Aber sie ist erst 15, sie ist also eher naiv." Verliebtsein fühlt sich eben auch wie Besessenwerden an.

Alles nur ein Traum?

Mélissa dagegen, die mit sieben Haiti verlassen hat, bewegt sich auf ihre Weise zwischen den Welten – vielleicht ist die Geschichte von Clarvius nur ihr Traum, denn der ist ihr Großvater. Bonello umgeht eindeutige Antworten. Auffallend ist, wie introvertiert der Film im Vergleich zu früheren Arbeiten ist – bis hinein in die minimalistische Synthiemusik und zu den Chören, die Bonello selbst komponiert hat.

"Wenn man ein Mann ist, der einen Film mit oder über junge Frauen dreht, dann ist auch die Frage der Distanz wichtig. Man darf nicht zu weit weg, man kann aber auch nicht mittendrin sein. Es ist etwas dazwischen: nahe genug, um Dinge aus ihrer Welt willkommen zu heißen." Bonellos Kino ist so erfrischend, weil es die Grenzen zwischen den Menschen und ihrer Epoche, ihrer Sprache und ihren Ideen nicht als gegeben annimmt, sondern hinterfragt und neu ausbaldowert. (Dominik Kamalzadeh, 2.7.2020)