Frauen in der syrischen Provinz Hasakeh demonstrieren gegen türkische Angriffe. Auch im kurdischen Nordirak greift die Türkei an.

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Rechte türkische Nationalisten gegen linke Kurden, so stellte sich die Situation, grob vereinfacht, vergangene Woche in Wien-Favoriten dar. Ungleich komplizierter wird es, wenn man in die Region schaut: Das belegen alleine schon die derzeitigen schwierigen "Versöhnungsgespräche" syrischer kurdischer Gruppen, die jahrelange Konflikte beenden sollen. Dieser politische Prozess ist viel mehr als eine innere syrisch-kurdische Angelegenheit. Auch das Verhältnis zur Türkei und zu anderen kurdischen Parteien in anderen Staaten der Region spielt hinein, entlang der ideologischen Linie pro oder contra PKK.

Es gibt in Syrien, formuliert es Rena Netjes vom Clingendael Institute in Den Haag auf Rudaw etwas plakativ, die PYD, die anti-Erdoğan, aber nicht anti-Assad ist, und die ENKS, die anti-Assad, aber nicht anti-Erdoğan ist. ENKS ist ein gängiges Kürzel für den Kurdish National Council. Der wiederum gehört zur oppositionellen syrischen Dachorganisation Syrian National Coalition of Revolutionary and Opposition Forces, die von der Türkei in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime unterstützt wird und dort auch ihre politische Zentrale hat.

Die PYD (Partei der Demokratischen Union) und ihre Milizen YPG, die in den vergangenen Jahren im Norden und Nordwesten Syriens eine autonome Verwaltung aufgebaut haben – als Rojava international bekannt –, werden von Ankara als Kreation der PKK gesehen. Von den Parteien der ENKS wird die PYD beschuldigt, in Rojava eine Einparteienherrschaft errichtet zu haben, in der Menschenrechtsverletzungen – willkürliche Verhaftungen, Tötungen, Verschwindenlassen von Menschen – an Nicht-PYD-Kurden und anderen Gruppen verübt wurden.

Machtteilung für Rojava

Nun geht es um die Beteiligung der ENKS-Kurden an dem, was nach den türkischen militärischen Vorstößen, zuletzt im Oktober 2019, von Rojava geblieben ist: Die ENKS meldete ihren Wunsch nach Machtteilung mit 50:50 an. Mitte Juni wurde eine "gemeinsame politische Vision" erreicht und eine neue gemeinsame Dachorganisation, die Kurdish National Unity Parties, geschaffen.

Um die Versöhnungsgespräche bemühen sich viele Mentoren. Als Basis gilt das "Dohuk-Abkommen" von 2014 – dem Jahr, in dem der "Islamische Staat" (IS) große Teile Syriens und des Irak eroberte. Die damalige Einigung – Machtteilung 40:40 und 20 für andere Parteien – wurde jedoch nie umgesetzt. Dohuk ist eine Stadt im Irak: Damals wie heute ist eine treibende Kraft der irakische Kurdenführer und nunmehr Ex-Präsident Massud Barzani, dessen national-konservative Partei KDP dem der PKK entgegengesetzten politischen Spektrum angehört und der auch mit der Türkei gut auskommt.

Russland verstärkt Aktivitäten

Die derzeitigen Gespräche laufen bereits seit Monaten, wie überall sonst hat nicht zuletzt die Corona-Krise einiges verzögert. Ein Impetus für den neuen Versöhnungsanlauf stammt jedoch von den USA, ihr stellvertretender Syrien-Beauftragter William Roebuck ist direkt beteiligt. Die Idee der USA ist, dass man die PYD sozusagen aus der mutmaßlichen PKK-Umarmung herauslöst und damit eine prinzipielle Verständigung zwischen den syrischen Kurden und Ankara möglich macht. Das Motiv dafür ist klar: Die Spaltung der syrischen Kurden ist ein Instrument, auf dem Assad stets geschickt gespielt hat. Die USA wollen mehr Einigkeit gegen Assad bei der Neuordnung Syriens und das Thema nicht alleine Russland überlassen. Moskau verstärkt momentan seine diesbezüglichen Aktivitäten: etwa bei der Vorbereitung einer neuen syrischen Verfassung, in der auf die Volksgruppen eingegangen werden soll.

Eine wichtige Rolle bei den Gesprächen spielt Mazlum Kobane – eigentlich Mazlum Abdi oder Ferhat Abdi Sahin, der seinen Namen jedoch im Gedenken an die Schlacht mit dem "Islamischen Staat" um Kobane im Herbst 2014 geändert hat. Der syrische Kurde, auf den die Türkei ein Kopfgeld ausgesetzt hat, hat seine militärischen Wurzeln bei der PKK – was er gar nicht leugnet. Er ist aber vor allem der Chef der SDF, der Syrian Democratic Forces, in die die USA die YPG-Milizen einfließen ließen, auch um die Türkei zu besänftigen, die über diese Zusammenarbeit verärgert waren: Die SDF waren und sind die lokale Truppe der USA im Kampf gegen den IS.

Von Trump fallengelassen

Mazlum Abdi wurde medial international bekannt, als der "Anti-IS-General, den Donald Trump fallenließ". Oder fallenlassen wollte – eine der Ursachen für den damaligen Rücktritt von US-Verteidigungsminister James Mattis. Trump überlegte es sich noch einmal anders, die USA haben noch immer ein kleines Truppenkontingent in der Nähe von Deir ez-Zor, das die syrischen Ölfelder kontrolliert.

Die Vorstellung der USA, dass man die syrischen Kurden allgemein, inklusive PYD, mit den Türken politisch zusammenbringen könnte, scheint sich indes nicht so leicht umsetzen zu lassen. Für Ankara bleibt einstweilen alles, was PYD/YPG – und folglich auch SDF – ist, gleichbedeutend mit PKK. Die türkische Regierung versuchte, die ENKS darauf einzuschwören, überhaupt nicht mit der PYD zu verhandeln.

Die Türkei hat nach ihrer letzten Offensive im vorigen Herbst mit Russland auch für den Nordosten Syriens – wie für Idlib – ein Arrangement geschlossen: gemeinsame Patrouillen, die verhindern sollen, dass die YPG der türkischen Grenze zu nahe kommen und sich mit der PKK kurzschließen können. Außerdem kontrollieren die Türken eine Zone zwischen Ras al-Ayn und Tal Abyad. Präsident Tayyip Erdoğan dürfte also schlicht keine Notwendigkeit einer Annäherung sehen – auch im Nordirak setzt er weiter auf militärische Gewalt. (Gudrun Harrer, 2.7.2020)