Sieht man von diversen Wahlkämpfen ab, waren die vergangenen zwei Wochen wohl ein neuer Höhepunkt, was die Aggressivität der parteipolitischen Auseinandersetzungen anbelangt. Auslöser war die türkise Befragungswoche im U-Ausschuss, bei der die Parteien einander rein gar nichts schenkten. Neos-Mandatar Helmut Brandstätter bezichtigte Sebastian Kurz (ÖVP) der Lüge und meinte, der Kanzler solle ihn klagen. Der hatte zuvor Brandstätters Frau bloßgestellt.

Neos-Geschäftsführerin Stephanie Krisper entrutschte ein "Geh’n mir am Oasch" bei nichtausgeschaltetem Mikrofon, Verfahrensrichterin Ilse Huber bezog das auf sich und legte ihr Amt nieder. In der Befragungspause sagte sie einem Abgeordneten, Mörder werden vor Gericht mit mehr Respekt behandelt als Auskunftspersonen hier im U-Ausschuss; das landete prompt beim Kanzler und wurde zum neuen ÖVP-Spin.

FPÖ-Fraktionssprecher Christian Hafenecker sprach von einer "ÖVP-Phalanx", die den Fragefluss der Abgeordneten unterbrach, um Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) zu schützen; der Kanzler meinte zu SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer, immerhin seit 18 Jahren Abgeordneter, dieser wisse ja nicht, wie ein Ministerrat abliefe.

Stilfragen

Viel Brutalität, viele Untergriffe. Aber dass es mittlerweile mehr um Stilfragen als um Inhalte geht, kann vor allem der ÖVP nur recht sein. Denn die FPÖ hat es merkwürdigerweise für sich selbst psychologisch geschafft, sich von der Ära Strache zu abstrahieren. Sie attackiert mit voller Wucht ihren ehemaligen türkisen Koalitionspartner, genau wie alle anderen Parteien – die Grünen dabei noch am sachlichsten, was auch an der gemeinsamen Koalition liegen dürfte. Im Unterschied zur FPÖ, die sich mit den Rücktritten von Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache und seinem Vize Johann Gudenus abputzt, hat die ÖVP aber dasselbe Spitzenpersonal wie in der vergangenen Regierung, fühlt sich also direkt angesprochen.

Der Vorsitzende Wolfgang Sobotka hat im U-Ausschuss die Wahrheitspflicht abgeschafft.
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Daher ist es kein Wunder, dass der Ausschussvorsitzende Wolfgang Sobotka sowie die Abgeordneten Wolfgang Gerstl und Klaus Fürlinger konstant versuchen, den U-Ausschuss auf eine Stildebatte zu reduzieren. Allerdings ist der Frust der Opposition nachvollziehbar, wenn auch ungeschickt. Sobotka hat im U-Ausschuss einfach die Wahrheitspflicht abgeschafft, indem er die Befragungspersonen zu konkreten Fragen weit ausufernde, schwammige Antworten geben lässt. Mit Nachfragen vergeht dann auch wertvolle Befragungszeit.

Am besten erkennt man die Mechanismen im U-Ausschuss, wenn man sie live sieht. Dass das wichtigste Untersuchungsgremium der Politik nicht übertragen werden darf, ist demokratiepolitische Steinzeit. Natürlich muss nicht jede Befragung gezeigt werden – einfache Beamte sollten diesem Druck nicht ausgesetzt werden. Aber Kanzler, Vizekanzler oder Spitzenmanager sind Öffentlichkeit gewöhnt. Vielleicht hilft die TV-Kamera ja, ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen? Denn so bleibt als Fazit der Befragung hängen, dass sie "nicht ergiebig" war. Sieht man aber die qualvollen 86 Erinnerungslücken des Finanzministers mit eigenen Augen, entfalten sie eine ganz andere Wirkung.

Das weiß vermutlich auch die ÖVP. Kein Wunder, dass sie als einzige Partei dagegen ist, dem U-Ausschuss die verdiente Öffentlichkeit zukommen zu lassen. (Fabian Schmid, 2.7.2020)