Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar Mitte Juni bei Gesprächen mit hochrangigen Militärs über die Offensive im Nordirak. Akar zog nun Bilanz.

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Zwei Wochen nachdem die türkische Armee am 15. Juni eine Großoffensive gegen Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im benachbarten Nordirak gestartet hatte, hat Verteidigungsminister Hulusi Akar nun eine erste Bilanz gezogen. Insgesamt 41 "PKK-Terroristen" seien im Rahmen der Operation Adlerklaue (Luftwaffe) und Tigerkralle (Eliteeinheiten am Boden) bislang getötet worden, darunter auch ein hoher Funktionär, Mazlum Tekdağ.

Die türkische Armee und mit ihr die staatsnahen Medien wie Sabah oder der Propagandasender A-Haber werten die Operation als großen Erfolg, auch weil bislang nur zwei türkische Soldaten getötet wurden. Während die Armee behauptet, alles dafür zu tun, dass irakische Zivilisten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, berichten Beobachter vor Ort immer wieder von Zwischenfällen. Nach Angaben der kurdischen Partei HDP vom Dienstag wurden bisher elf Zivilisten getötet.

Jährliche Routine

Angriffe auf die Stellungen der PKK im Nordirak gehören zur alljährlichen Routine der türkischen Armee. Sie finden meistens als Frühjahrsoffensiven statt und sind in diesem Jahr offenbar wegen der Corona-Pandemie in den Sommer verschoben worden.

Von der kurdischen Regionalregierung im Nordirak unter Präsident Nêçîrvan Barzanî hat die türkische Armee keinen Widerstand zu erwarten. Sie ist wirtschaftlich auf die Türkei angewiesen und konkurriert mit der PKK um Einfluss im Irak und in Syrien. Wohl auch deshalb gestattet sie Ankara, immer mehr Soldaten im Nordirak zu stationieren, und arbeitet auch mit dem türkischen Geheimdienst MIT zusammen. Letztlich versucht die Türkei das Hauptquartier der PKK in den Kandil-Bergen rund 100 Kilometer südlich der türkisch-irakischen Grenze einzunehmen und die PKK aus dem Irak zu vertreiben. Sie ist diesem Ziel in den vergangenen Jahren militärisch immer nähergekommen.

Geschwächte Guerilla

Seit die Türkei gezielt eigene Kampfdrohnen einsetzt, verliert die Guerilla ihre Überlegenheit in den Bergen. Die Beobachtungsstelle International Crisis Group geht davon aus, dass die Verluste der PKK mittlerweile fünfmal größer sind als die der Armee.

Auch innerhalb der Türkei ist die PKK kaum noch zu Anschlägen in der Lage. Zuletzt hat sie vor einem Monat einen Lebensmitteltransporter, der in der Corona-Krise abgelegene Dörfer versorgen sollte, in die Luft gesprengt, weil die Regierung es den kurdisch regierten Kommunen verboten hatte, selbst Unterstützung für ihre Leute zu organisieren.

Insgesamt gibt es in der Türkei kaum Reaktionen auf die Operationen im Nordirak. Die kurdisch-linke HDP wird seit Jahren massiv unter Druck gesetzt und von Präsident Recep Tayyip Erdoğan immer wieder als ziviler Arm der PKK denunziert. Mit diesem Argument hat das Innenministerium mittlerweile 54 von insgesamt 64 Bürgermeistern der HDP, die ihre Posten bei den Kommunalwahlen im März 2019 gewonnen hatten, aus dem Amt entfernt. Jede öffentliche Kundgebung, mit der gegen diese Beschneidung der demokratischen Rechte protestiert werden soll, ist mittlerweile verboten. Die Kurden im Südosten der Türkei können sich mittlerweile kaum noch bemerkbar machen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 1.7.2020)