Michael Ludwig und Birgit Hebein wird nachgesagt, dass sie gut miteinander können. Im Wahlkampf werden dennoch beide ihre Positionen abstecken und um Wähler im jeweils anderen Spektrum buhlen.

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Die wiedergewählte Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht es vor. Mit einem scharfen Ökoprogramm ist die Sozialistin zu den Kommunalwahlen angetreten – und als klare Gewinnerin hervorgegangen. Sozialistische Politik geht offenbar auch, wenn man Autos aus der Stadt verbannen, Parkplätze abschaffen, Fahrradschnellwege einführen will. In Wien verläuft die Diskussion anders. Hier tritt die SPÖ aus Sicht der wahlkämpfenden Grünen eher als Blockierer von Verkehrsberuhigungskonzepten auf.

Vor allem in der Debatte über die autofreie Innenstadt wurden die Bruchlinien zwischen den Koalitionsparteien SPÖ und Grüne einmal mehr deutlich. Während Birgit Hebein (Grüne) – die hier gemeinsame Sache mit der ÖVP und City-Bezirkschef Markus Figl machte – nach vorne prescht, muss Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) offenbar erst einmal die Pausetaste drücken. Die Kritik der Grünen folgte umgehend: "Die SPÖ war schon progressiver, sie bremst und macht Retro-Verkehrspolitik", sagt Klubchef David Ellensohn zum STANDARD.

"Für alle Wienerinnen und Wiener da"

"Ludwig wurde auf dem falschen Fuß erwischt", analysiert der Politologe Peter Hajek. Die Pläne gingen zu früh an die Öffentlichkeit, das gab auch Hebein bereits zu. Schaden wird Ludwig seine zögerliche Reaktion – er drohte zunächst mit einem Veto, kündigte dann das Abwarten des Begutachtungsverfahrens an – dennoch nicht. "Ludwig ist ein ausgleichender Politikertyp. Gerade bei ihm war die Reaktion gar nicht so schlecht." Ludwig sei jemand, der nicht in Konfrontation gehe. Sein Motto: "Ich bin für alle Wienerinnen und Wiener da." Da passten die Person und das politische Verhalten zusammen, so Hajek.

Ludwig lege langsam an politischer Stärke zu. Zwar befinde er sich nicht auf dem Niveau seines Vorgängers Michael Häupl. Die Corona-Krise hat laut Hajek aber europaweit bewirkt, dass Menschen hinter den regierenden Parteien stehen. "Das ist in Wien auch passiert. Die Stimmung war vor der Corona-Krise deutlich schlechter als jetzt."

Gespaltene Wählerschaft

Beim Thema Verkehr sei die Wählerschaft der SPÖ gespalten. Während der eine Teil weniger Autos in der Stadt wolle, ist der andere skeptisch, dass Öffis und Fahrrad würdige Ersatzverkehrsmittel sind.

Tatsächlich arbeitet die SPÖ hier umfragenorientiert. Und Befragungen der Bürgermeisterpartei haben ergeben, dass SPÖ-affine Wähler mit den grünen Pop-up-Radwegen nichts anzufangen wissen. So bezeichnen laut der roten Umfrage 58 Prozent der Personen, die im Oktober SPÖ wählen wollen, Pop-up-Radwege auf mehrspurigen Straßen als "sehr schlechte" oder "eher schlechte" Idee. Nur 29 Prozent befinden sie für "sehr gut" oder "eher gut". Vernichtend ist das Resümee auch von ÖVP- oder FPÖ-Sympathisanten.

Bei den potenziellen Grün-Wählern ist das Ergebnis ein völlig anderes: 94 Prozent dieser Gruppe bewerten Pop-up-Radwege positiv. Die Vorstöße der Grünen werden bei der SPÖ als "Minderheitenprogramm" gesehen, man selbst habe den Anspruch, "alle Wienerinnen und Wiener mitzunehmen", heißt es dort.

Hajek sieht auch noch einen anderen Grund dafür, dass die SPÖ Verkehrsberuhigung nicht forciert. "Man begibt sich nie auf das Themenfeld der anderen." Deswegen werde die SPÖ Umwelt- und Klimaschutz nie als Thema Nummer eins spielen. "Man will sich keinen Infight mit den Grünen liefern." Sonst denke der Wähler: "Da kann ich gleich die Grünen wählen." Im Kampf um grüne Wählerstimmen hat die SPÖ trotzdem das Wahljahr 2020 noch vor der Corona-Krise zum "Klimaschutzjahr" erklärt und entsprechende Projekte präsentiert.

Grüne wollen wieder regieren

Hebein machte jüngst im Interview mit dem STANDARD kein Hehl daraus, trotz der Streitigkeiten beim Thema Verkehr nach der Wahl Rot-Grün III zu präferieren. Wahltaktisch interessant ist ihre frühe Festlegung, eine – rechnerisch unwahrscheinliche – Dreierkoalition mit Türkis und Pink praktisch auszuschließen. Für Hajek ist das nachvollziehbar. "Würde sie das offenlassen, hat sie ein Feindbild." Dann würden Grün-Wähler zur SPÖ gehen, um diese Koalition zu verhindern.

Die Trümpfe liegen bei der SPÖ und bei Ludwig. Nach derzeitigem Stand kann sich der erstmals als Spitzenkandidat antretende Bürgermeister nach der Wahl seinen Juniorpartner bequem aussuchen, der entweder ÖVP oder Grüne heißen dürfte. Für einen Pakt mit den Türkisen spricht, dass Ludwig sehr gut mit Walter Ruck kann, dem Chef der Wiener Wirtschaftskammer. Beim Gastro-Gutschein machten sie zuletzt gemeinsame Sache, die Grünen blieben außen vor. Andererseits fabriziert die ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz und Landesparteichef Gernot Blümel auch konsequentes Wien-Bashing vom Feinsten: Bemüht werden Slogans vom "rot-grünen Integrationsversagen", das sich auf Wiens Straßen zeige, oder der "undifferenzierten Willkommenskultur der SPÖ". Und das sind nur zwei Beispiele.

Juniorpartner will Einfluss

Mitspielen wird für die mächtige Stadt-SPÖ auch die Frage, welche inhaltlichen und personellen Forderungen ÖVP und Grüne stellen. 2015, bei der Neuauflage der ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene, kämpften die Grünen vergeblich um einen zweiten Stadtratsposten und mehr Einfluss. Ob die SPÖ neuerlich damit durchkommen könnte, ist offen. Die ÖVP als zweite Option befindet sich im Umfragenhoch und klar auf Platz zwei. Schlussendlich kommt die persönliche Komponente ins Spiel. Hebein sagt, angesprochen auf die Kooperation mit Ludwig: "Dass der Wahlkampf jetzt spürbar ist, mag sein. Aber ich habe wirklich ein gutes, professionelles Verhältnis zu ihm." (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 2.7.2020)