Als wollten sie eine Szene aus "Fear the Walking Dead" nachstellen, kommt eine Gruppe Plotopteriden aus dem Meer geschlurft. Gejagt haben die räuberischen Riesenvögel aber nur im Wasser.
Illustration: Mark Witton

In den knapp 66 Millionen Jahren seit dem Einschlag des Dino-Killers haben sich die Pinguine über weite Teile der südlichen Hemisphäre ausgebreitet. Bis zum Äquator haben sie es geschafft, die Nordhalbkugel hingegen konnten sie nie kolonisieren. Dort hat die Evolution dafür Vergleichbares hervorgebracht – allen voran eine wenig bekannte Vogelgruppe, die ein internationales Forscherteam nun im "Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research" als "Doppelgänger" der Pinguine vorgestellt hat: die Plotopteriden.

Auge in Auge mit einem Vogel

Auf einige Entfernung hätte man sie leicht mit den Frackträgern aus dem Süden verwechseln können, sagt Paul Scofield vom Canterbury-Museum in Neuseeland: "Sie sahen wie Pinguine aus, schwammen wie Pinguine und fraßen vermutlich auch wie Pinguine." Oder genauer gesagt: wie Riesenpinguine. Mit maximal 130 Zentimeter Höhe ist der Kaiserpinguin heute der größte Vertreter dieser Vogelgruppe. In der Vergangenheit gab es mit Spezies wie Anthropornis oder Kumimanu aber auch Pinguine, die einem erwachsenen Menschen Auge in Auge gegenübertreten hätten können.

Und die ebenfalls flugunfähigen Plotopteriden waren sogar noch größer: Die imposantesten Vertreter dieser Gruppe erreichten eine Körperlänge von über zwei Metern. Fossile Überreste solcher Vögel wurden in Japan, Kanada und den nördlichen USA gefunden. Sie besetzten also entlang der Küsten des Nordpazifiks die gleiche ökologische Nische wie die Pinguine auf der Südhalbkugel und dürften in ihrem Lebensraum eine dominante Spezies gewesen sein.

Anatomische Parallelen

Scofield untersuchte die Fossilien zusammen mit seiner Kollegin Vanesa De Pietri sowie Forschern vom Senckenberg-Institut in Deutschland und der University of Washington. Beim Vergleich mit den ausgestorbenen Riesenpinguinen, die einst im Raum Neuseeland lebten, fand das Team eine Reihe von Parallelen. Beide Tiergruppen ähnelten einander in der Anatomie des Brustkorbs, des Schultergürtels, vor allem aber der Flügel.

Die meisten Seevögel nutzen im Wasser die Beine als Antrieb – Pinguine hingegen "fliegen" unter Wasser, indem sie mit den flossenartigen Flügeln schlagen. Die Plotopteriden dürften das genauso gemacht haben, vermuten die Forscher. Man könne daraus einiges über die evolutionäre Entwicklung von Fliegern zu Schwimmern lernen. Vermutlich tauchten die ursprünglich noch flugfähigen Ahnen beider Vogelgruppen zum Beutefang aus der Luft ins Meer ab, passten sich dort immer besser an die Fortbewegung unter Wasser an – büßten dafür aber schließlich die Fähigkeit zu fliegen ein.

Konvergente Evolution: Der Riesenpinguin Kumimanu sah den Vögeln aus dem Norden verblüffend ähnlich.
Illustration: Mark Witton

Bemerkenswert daran ist, dass die beiden Vogelgruppen all diese Parallelen gänzlich unabhängig voneinander entwickelt haben – ein Fall von konvergenter Evolution. Die Plotopteriden waren nicht mit den Pinguinen verwandt, sie gehören zum selben Zweig des Vogelstammbaums wie Kormorane und Tölpel, allesamt Fischfang-Profis.

Mit der knapp einen Meter langen Galapagosscharbe (Phalacrocorax harrisi) gibt es übrigens auch heute wieder einen Kormoran, der das Fliegen verlernt hat. Und doch unterscheidet sich die auf den Galapagosinseln beheimatete Scharbe von ihren ausgestorbenen Verwandten: Sie nutzt im Wasser die Füße zum Antrieb, nicht die zurückgebildeten Flügel.

Timing-Frage

Ein großer Unterschied zwischen den beiden Vogelgruppen liegt in der Zeitfrage. 2019 kam eine australische Studie zum Schluss, dass die Urpinguine am Ende des Dinosaurierzeitalters noch fliegen konnten. Erst nach der globalen Katastrophe nahmen sie verblüffend schnell die neue Lebensweise an, der sie nun seit über 60 Millionen Jahren nachgehen. Die Plotopteriden hingegen traten erst vor 37 bis 35 Millionen Jahren auf den Plan – und gut zehn Millionen Jahre später auch schon wieder ab. Etwa im selben Zeitraum verschwanden auch die letzten Riesenpinguine aus den Meeren.

Ein Zufall ist diese letzte Parallele nach Meinung von Paläontologen nicht: Damals erlebten Delfine und andere Zahnwale eine starke Zunahme der Artenvielfalt, dicht gefolgt von den frühen Robben. Der direkten Konkurrenz durch Meeressäuger, so die Vermutung, waren die gefiederten Fischer nicht gewachsen. Nur im nächstkleineren Größensegment konnten die Pinguine überleben, die Plotopteriden verschwanden ganz.

Noch viel später brachte die Evolution dafür eine – entsprechend verkleinerte – neue Generation von "Doppelgängern" hervor, und die kam abermals aus einem ganz anderen Bereich der Vogelwelt. Der mit den Möwen verwandte Riesenalk wurde etwa 80 Zentimeter groß und bevölkerte die eiszeitlichen Nordatlantikküsten. Dort würde er auch heute noch seine Pinguin-Imitation zum Besten geben – leider wurde der leicht zu erbeutende Vogel aber im 19. Jahrhundert ausgerottet. (jdo, 5. 7. 2020 )