Der ehemalige Botschafter der Europäischen Union in China, Dietmar Schweisgut, beschreibt, wie die EU die Voraussetzungen für mehr Wettbewerbsgleichheit mit China schaffen kann.

Die USA in einem neuen Kalten Krieg mit China, in dem es um den globalen Führungsanspruch geht und in dem Europa unter Druck kommt, sich für die eine oder andere Seite deklarieren zu müssen: Diese Themenstellung bestimmt zunehmend die internationalen Kommentare zum Verhältnis zwischen den Großmächten.

In Wirklichkeit geht es nicht um eine derartige Wahl. Auch wenn die USA unter Donald Trump eine Politik verfolgen, die ausschließlich dem eigenen nationalen Interesse verpflichtet ist, sie sich aus dem internationalen System der Nachkriegsordnung zurückziehen und den Wert der EU und der transatlantischen Allianz infrage stellen, ist es undenkbar, dass Europa sich von Amerika abwendet, um seine Zukunft in einer Partnerschaft mit einem autokratischen System, das in klarem Gegensatz zu den demokratischen und liberalen Grundwerten der EU steht, zu suchen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Beim jüngsten Videogipfel sparten EU-Ratspräsident Charles Michel (rechts) und Kommissionschefin Ursula von der Leyen nicht mit Kritik an Chinas Staatschef Xi Jinping (links oben).
Foto: AP/Yves Herman

Die Frage ist vielmehr, wie die Europäische Union auf der Grundlage ihrer Werteverfassung ihre Interessen gegenüber einer aufstrebenden Weltmacht durchsetzen kann, die gleichzeitig Partner, Konkurrent und strategischer Rivale ist, wie es die China-Strategie der EU 2019 erstmals definierte.

Enttäuschte Hoffnung

Lange Zeit gingen die Europäer davon aus, dass laufender Dialog, die zunehmende Wirtschaftsverflechtung und die Einbindung Chinas in das bestehende multilaterale System, vor allem in die WTO, zu einer schrittweisen Liberalisierung und damit zu einer Konvergenz der Systeme führen würde. Diese Hoffnung war immer schon naiv, aber durch die unter Xi Jinping vorangetriebene Kontrolle aller Lebensbereiche durch die Kommunistische Partei, die massive staatliche Förderung zur Erreichung der Technologieführerschaft in Schlüsseltechnologien, die aggressive Verfolgung von Chinas "Kerninteressen" in der Region und die Unterdrückung von Minderheiten und Dissens wurde klar, dass das chinesische "Modell" statt zu einer Annäherung zu einem neuen Systemwettbewerb geführt hat.

Trotzdem ist die von Vertretern der US-Regierung vorgeschlagene Abkoppelung von China, um unfairen Wettbewerb, Technologiediebstahl und letztlich den weiteren Ausbau von Chinas Führungsrolle in der Region und wachsenden internationalen Einfluss zu verhindern, nicht im europäischen Interesse und letztlich auch nicht realisierbar.

Inhaltsleere Versprechungen

Das heißt aber nicht, dass die EU zur Sicherung ihrer Wirtschaftsinteressen in China dessen Vorgangsweise akzeptieren muss. Die Abschottung vieler Wirtschaftssektoren, Wettbewerbsverzerrungen durch Aufbau von Überkapazitäten, erzwungener Technologietransfer, massive Subventionen von Staatsunternehmen und Pekings Widerstand gegen WTO-Reformen sind nicht länger akzeptabel. Nach sieben Jahren weitgehend ergebnisloser Verhandlungen über ein umfassendes Investitionsabkommen, das unter anderem Reziprozität beim Marktzugang und damit die Beseitigung der Diskriminierung europäischer Unternehmen garantieren sollte, gibt es wenig Grund, inhaltsleeren Versprechungen auf Reform und Marktöffnung noch länger Glauben zu schenken.

Solange jedoch China darauf vertrauen kann, dass die EU ihre Märkte offen hält und Einfluss auf einzelne Mitgliedsstaaten nimmt, um eine härtere Gangart zu verhindern, gibt es wenig Anreiz für Zugeständnisse. Europa verfügt nicht über Druckmittel wie die USA, von deren digitaler Technologie China immer noch abhängig ist.

Aber auch die EU – Chinas größter Handelspartner – kann sich vor unfairen Praktiken wirksam schützen. Mit der bereits erfolgten Reform der Antidumpinggesetzgebung und der Einführung eines Überwachungsmechanismus für Firmenübernahmen durch ausländische Unternehmen sowie durch die vorgeschlagene Anpassung des Wettbewerbsrechts, die Sanktionierung wettbewerbsverzerrender Beihilfen und Reziprozität im öffentlichen Beschaffungswesen kann sie die Voraussetzungen für mehr Wettbewerbsgleichheit mit China schaffen. Dazu gehören auch der Schutz vor Desinformation und Cyber-Sicherheit. Hier hat ein Umdenken in Europa stattgefunden, das auch in einer klareren Sprache zum Ausdruck kommt.

Wiederaufbaumaßnahmen

Die Corona-Pandemie hat die zunehmende europäische Skepsis bezüglich der Rolle Chinas im internationalen System verstärkt und – bei aller Kritik an der mangelnden Handlungsfähigkeit der EU zu Beginn der Krise – in der Bevölkerung zum Wunsch nach mehr Solidarität und einer stärkeren EU-Rolle der Europäischen Union geführt. Damit verbunden ist auch das Bewusstsein, dass die gemeinsamen Wiederaufbaumaßnahmen zu einer Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere in der digitalen Wirtschaft und bei Klimatechnologien führen müssen.

Der Schlüssel für eine erfolgreiche China-Politik liegt daher letztlich in Europa selbst. Ein wirksames Instrumentarium, um die EU und ihre Mitgliedsstaaten vor unfairem Wettbewerb zu schützen, die Stärkung des Binnenmarkts und der Wettbewerbsfähigkeit, und der solidarische Einsatz für Europas Werte – gemeinsam mit gleichgesinnten Partnern – sind die Voraussetzung für Verhandlungen mit China auf Augenhöhe und den weiterer Ausbau der Beziehungen. Durch die Verschiebung des für September in Leipzig vorgesehenen Gipfeltreffens Chinas mit allen 27 Mitgliedsstaaten ist ein gewisser Stillstand eingetreten, der wohl bis nach den US-Wahlen anhalten wird.

Diese Pause sollte von Europa genutzt werden, um den Grundkonsens über den neuen Ansatz in der China-Politik zu stärken und eine einheitliche Haltung der Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Dass die kritischere Haltung der EU, die beim Videogipfel der EU-Spitzen mit Chinas Führung vergangene Woche klar zum Ausdruck kam, in den chinesischen Staatsmedien ignoriert und stattdessen nur die unverzichtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern beschworen wurde, spricht allerdings nicht dafür, dass China der EU diese Stärke und Konsequenz zutraut. (Dietmar Schweisgut, 3.7.2020)