Wer Lewis Hamilton noch immer für einen gewöhnlichen Rennfahrer hält, der sollte in diesen Tagen nach Spielberg schauen. Wenn die Formel 1 am Sonntag (15.10, ORF 1, RTL) in ihre Corona-Saison startet, ist der Einfluss des Weltmeisters auf seinen Sport nicht mehr zu übersehen – die Silberpfeile sind nicht mehr silbern, Mercedes hat sie schwarz lackiert. Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist in der Königsklasse angekommen, und das ist auch ein Verdienst Hamiltons.

Lewis Hamilton versteht sich nicht nur als Formel-1-Fahrer.
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Vor einem Monat hatte bei Toto Wolff das Telefon geklingelt. "Lewis wollte von mir wissen, welches Zeichen wir als Team setzen können. Etwas, das über zwei Postings auf Instagram hinausgeht", sagte der Mercedes-Motorsportchef bei einem Medientermin in Wien. So sei die Idee zu einer frischen Lackierung entstanden. Die Aktion sei nicht als PR-Stunt, sondern als Auftrag und Verpflichtung zum Umdenken in den eigenen Reihen zu verstehen.

Hamilton kritisierte nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer Polizeiaktion in den USA den Motorsport als "von Weißen dominiert" und rief die Politik in aller Welt zum verstärkten Einsatz gegen Rassismus auf. Jetzt ist der 35-Jährige "stolz auf das Team". Und: "Wir wollen ein Vermächtnis bauen, das über den Sport hinausgeht."

Schumachers Spuren

Da ist der Mann aus Stevenage in Hertfordshire so oder so auf einem guten Weg. Heuer kann der Sportler Hamilton Historisches erreichen, nämlich mit dem siebenten WM-Titel den einst unerreichbar wirkenden Rekord von Michael Schumacher einstellen. Und dennoch rückt sein Wirken am Steuer eher in den Hintergrund.

Hamilton verweist gerne auf Boxlegende Muhammad Ali. Der Jahrhundertsportler "war eine der größten Inspirationen in meinem Leben", sagt Hamilton, "er half mir, daran zu glauben, dass jemand wie ich alles schaffen kann, dass meine Träume erreichbar sind. Und ich hoffe, dass ich das Gleiche für die Generationen nach mir tun kann."

Der schwarze Silberpfeil fährt in Spielberg vor.
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Dass Hamilton eine so starke soziale Verantwortung empfindet und seine Reichweite derart nutzt, ist bemerkenswert. Es gab Zeiten, da fiel der Ohrbrilli-Träger und Freund der Sängerin Nicole Scherzinger vor allem durch sein Privatleben, seinen luxuriösen Lebensstil auf. Für junge Menschen mit viel Geld nicht völlig ungewöhnlich.

Schon in den vergangenen Jahren wirkte Hamiltons Handeln abseits der Strecken aber zunehmend reflektiert und eher altruistisch. Der Champion ernährt sich aus Gründen des Umweltschutzes mittlerweile vegan, setzt sich für den Tierschutz ein, spendete im Frühjahr große Summen für die Opfer der Buschbrände in Australien. Und er wird seit Beginn der Pandemie nicht müde, zu Sorgfalt und Vorsicht im Kampf gegen Covid-19 aufzurufen.

Leistung leidet nicht

Immer wieder neue Themen hatte Hamilton auf seiner Agenda und widmete sich diesen meist sehr emotional – manche sahen darin Aktionismus. Das ist aber wohl zu kurz gedacht. Der Rennfahrer Hamilton und der Privatmensch Hamilton existieren schon eine Weile gleichberechtigt nebeneinander, die sportliche Leistung leidet nicht. Auch wenn er sich an einer eigenen Modelinie versuchte, für bessere Bildungschancen kämpfte, sich als Musiker gefällt oder rote Teppiche in aller Welt strapazierte, blieb er doch das Maß der Dinge auf dem Asphalt. Hamilton viele Freiheiten zu geben und ihn wachsen zu lassen – das ist das Erfolgsrezept von Teamchef Wolff, das schon Niki Lauda als Aufsichtsrat des Teams goutierte.

Einiges spricht dafür, dass Hamilton auch im Dezember noch über die Themen spricht, die ihm wichtig sind – und im schwarzen Silberpfeil ganz nebenbei zum Rekordweltmeister aufgestiegen ist. Ob er die ersten beiden Schritte dazu in Österreich setzen kann, wagt niemand vorherzusagen. In den vergangenen beiden Jahren war bei jeweils großer Hitze der Sieg Max Verstappen im Red Bull nicht zu nehmen. Fast standesgemäß schwebte der Niederländer am Donnerstagvormittag als erster im Privatjet auf dem Fliegerhorst Hinterstoisser in Zeltweg ein. Beim Fahrermeeting am Freitag wird aber Hamilton den Ton angeben. Er will auch darüber diskutieren, ob alle 20 Piloten vor dem Rennstart wie einst Football-Quarterback Colin Kaepernick bei seinem Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Knie gehen sollen. (Sigi Lützow, 3.7.2020)