Jenes kleine Haus in Mansdorf mit den schimmeligen Zimmern, den Ratten, Ungeziefer auf zerfetzten Matratzen und schlecht schließenden Fenstern, in dem Erntearbeiter und Erntearbeiterinnen zusammengepfercht wohnen mussten, wurde drei Tage nach dem STANDARD-Bericht behördlich geschlossen. Der Spargelbetrieb im Marchfeld, dem das Quartier, dessen Bilder durch die sozialen Medien gingen, gehört, nicht. Und jene Arbeiterin aus Rumänien, die mithilfe der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge Vorwürfe gegen das Unternehmen wegen Unterbezahlung und Ausbeuterei publik machte, ist längst zu Hause in Rumänien. Ihren Lohn hat die 53-jährige A. aber immer noch nicht bekommen.

Frist abgelaufen

"Die zweiwöchige Frist ist heute abgelaufen", erzählt der Landessekretär der Pro-Ge Niederösterreich, Patrick Slacik, am Donnerstag dem STANDARD auf Nachfrage. Vor zwei Wochen habe nämlich die Gewerkschaft das Geld für Frau A. eingeklagt. Nun geht es vor das Arbeitsgericht.

Behördlich geschlossenes Elendsquartier in Mannsdorf.
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Der Fall von Frau A. soll nicht der Einzige bleiben. "Dass sie sich gewehrt hat, hat auch anderen Mut gemacht", sagt Slacik, "zwei Frauen und vier Männer aus Rumänien, die für denselben Betrieb gearbeitet haben, wollen sich anschließen." Auch sie wollen ihren gerechten Lohn. Laut Kollektivvertrag beträgt dieser in Niederösterreich 8,66 Euro brutto. Vier Euro Stundenlohn habe man ihr angeboten, so Frau A., zudem soll noch Geld für das Elendsquartier abgezogen worden sein.

Behauptungen

Doch die Firma Sulzmann beharrt darauf, dass das alles nicht stimme. Am Mittwoch ließ der Betrieb in den Niederösterreichischen Nachrichten einen Unternehmensberater behaupten, alle Überprüfungen der Finanzpolizei, der Sozialversicherung und des Arbeitsinspektorates hätten nichts Unrechtmäßiges gefunden. Selbst das Quartier, das Arbeiterinnen und Aktivisten der Gewerkschaftskampagne Sezonieri fotografiert und auch STANDARD und ORF besucht hatten, sei in Ordnung gewesen.

Der Spargelbetrieb im Marchfeld, der kürzlich durch die Fotos seiner Arbeiterquartiere für Empörung sorgte, will alles richtig gemacht haben.
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Der Rechtsexperte der Landarbeiterkammer, Heimo Gleich, erklärt dazu: "Das ist definitiv nicht richtig. Bisher wurde jedem der drei überprüften Quartiere der Firma Sulzmann die weitere Benutzung untersagt." Auch vom zuständigen Amt in der Landesregierung Niederösterreich heißt es auf eine schriftliche Anfrage: "Die Unterkunft ist nach wie vor gesperrt." Die Behauptungen des Unternehmens könne man nicht nachvollziehen.

Rechtswidrige Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie

Dass Frau A. Mitstreiterinnen gefunden hat, ist aus Sicht der Gewerkschafter keine Kleinigkeit. Auch in der Fleischindustrie und im Fleischergewerbe, gebe es rechtswidrige Arbeitsverhältnisse. Nicht nur in Deutschland, wo das Aufkommen von Corona-Clustern plötzlich ein Schlaglicht auf die dort Beschäftigten warf.

Auch in der Fleischindustrie häufen sich Fälle. Sich gegen Lohndumpings zu wehren wagen aber vor allem migrantische Arbeitskräfte kaum.
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Erwin Kinslechner, Branchensekretär der PRO-GE für die Kollektivverträge im Nahrungsmittelbereich, erzählt von einem aktuellen Fall in der Steiermark, wo sechs Arbeiter für ein – abgesehen von Matratzen – unmöbliertes 15-Quadratmeter-Zimmer, in dem sie gemeinsam untergebracht waren, 100 Euro im Monat zahlten. Diese Menschen, die meistens aus osteuropäischen Ländern kommen, wehren sich fast nie, so Kinslechner. "Das System ist auf Angst aufgebaut, die arbeiten 13, 14 oder 15 Stunden am Tag, kennen ihre Rechte aber nicht, können kaum oder nicht Deutsch und haben keine Kraft mehr, sich zu wehren."

Auch falsche Zeitaufzeichnungen, die den Arbeitern zum Unterzeichnen unter Druck vorgelegt werden, seien nicht selten, sagt Elisa Kahlhammer von Sezonieri, der Initiative, die Erntehelfer in ihrer Muttersprache über ihre Rechte aufklärt: "Das hören wir oft. Es sind eben nicht schwarze Schafe. Die Ausbeutung in der Landwirtschaft hat weltweit System. Ohne sie wäre der Überfluss zu Billigstpreisen in reichen Ländern nicht zu finanzieren."(Colette M. Schmidt, 2.7.2020)