In Berlin protestierten Pflegekräfte bereits auf der Straße gegen Überlastung bei wenig Geld, nun beschweren sich auch österreichische Vertreter: Die Regierenden hätten hehre Versprechen vergessen.

Foto: imago images snapshot

Die Entspannung im Kampf gegen das Coronavirus lässt nicht nur die Erinnerung vieler Leute an einschlägige Hygieneregeln verblassen. Was haben sich Politiker nicht mit Ankündigungen überboten, wie sie die unschätzbare Leistung von Pflegerinnen und anderen Systemerhaltern honorieren wollten, sagt Walter Marschitz: "Doch so schnell, wie die Krise überwunden wurde, scheinen die Beteuerungen von damals vergessen zu sein."

Marschitz spricht für 500 Unternehmen der Sozial- und Gesundheitsbranche, die sich im Verband Sozialwirtschaft organisiert haben und 75.000 Beschäftigte auf sich vereinen. Dass die Organisation kein politisch homogener Block ist, zeigt schon das Outfit der beiden Frontmänner. Der aus dem ÖVP-nahen Hilfswerk stammende Geschäftsführer Marschitz trägt Sakko, Krawatte, fein gestreiftes Hemd, Vorsitzender Erich Fenninger aus der SPÖ-affinen Volkshilfe Schiebermütze, schwarzes Leiberl und Freundschaftbänder am Handgelenk. Gemeinsam ziehen sie Bilanz über die Corona-Krise – und die birgt nicht wenig Kritik an den Regierungen aus Bund und Ländern.

  • Fehlende Honorierung Bei den mitten im Lockdown abgeschlossenen Kollektivvertragsverhandlungen gewährten die Arbeitgeber der Sozialunternehmen den Bediensteten eine Corona-Prämie von 500 Euro pro Kopf. Sozialminister und Landesregierungen hätten signalisiert, die 50 bis 70 Millionen für diese Gefahrenzulage zu bezahlen, erzählt Marschitz, doch bis jetzt gebe es nicht einmal eine verbindliche Zusage. Die ist auf Anfrage auch nicht vom derzeitigen Vorsitzenden der Landeshauptleute, dem Salzburger Wilfried Haslauer (ÖVP), zu erhalten: Über diverse Entschädigungszahlungen würden die für die Pflege zuständigen Länder mit der Bundesregierung verhandeln. Vorerst kein Statement gab es aus dem vom Grünen Rudolf Anschober geführten Sozialministerium.
  • Verschleppte Hilfszahlung Keinen Cent hat bisher auch der für Non-Profit-Organisationen vorgesehene Hilfsfonds gebracht: Anders als beim Härtefallfonds für profitorientierte Unternehmen ist eine Antragsstellung bis dato immer noch nicht möglich. Zumindest das sollte sich bald ändern. Laut Bundesregierung können gemeinnützige Vereine aller Art ab 8. Juli Geld aus dem mit 700 Millionen dotierten Topf beantragen. Pro Organisation werden maximal 2,4 Millionen gezahlt.
  • Mangelnde Schutzausrüstung Ersatz fordern die Interessenvertreter auch für teure Schutz- und Hygienevorschriften. Besonderer Brocken: Weil die Republik trotz aller Pandemiepläne zu wenig Schutzausrüstung parat hatte, hätten die Organisationen diese oft auf eigene Faust beschaffen müssen, sagt Fenninger: In der staatlichen Versorgungskette seien Pflege- und andere Betreuungseinrichtungen "am Ende gestanden".

Folge: Aus Angst vor Ansteckung hätten viele Klienten und deren Angehörige Leistungen storniert, besonders in der mobilen Pflege. Das habe Anbieter gezwungen, Kurzarbeit einzuführen – wobei Landesregierungen starken Druck gemacht hätten. Schließlich ersparten sich die Länder, die Leistungen über Förderungen ja an die Betreuungsorganisationen auslagern, dadurch Ausgaben für die Pflege. Marschitz: "Die Länder haben sich elegant einiger Kosten entledigt."

Draufgezahlt hat hingegen der Bund, der die Zuschüsse für die Kurzarbeit berappen muss. Die resultierende Situation nennt Fenninger paradox: Während professionelles Personal die Arbeit reduzierte, rekrutierte die Regierung für den Fall, dass Massenerkrankungen zum Personalmangel in der Pflege führen, Zivildiener als Back-up – auch zwangsweise.

Ausgebliebene Katastrophen

Die Politik sollte sich umso mehr spendabel zeigen, als der professionelle Einsatz des Personals Schlimmeres verhindert habe, sagen die Kritiker. So habe die Zahl der Todesfälle in Betreuungseinrichtungen nicht nur die Befürchtungen unterboten, vielmehr sei die Sterberate in manchen Heimen im Vergleich zu Vorjahren sogar gesunken. Besuchslimits und strengere Hygiene hätten die Einschleppung anderer Infektionen verhindert. Laut Sozialministerium lag der Anteil der Anteil der an Covid-19 verstorbenen Alten- und Pflegeheimbewohner in Österreich mit Stand 5. Juni bei 0,3 Prozent, während die Rate etwa in Schweden zwei Prozent, in Frankreich 2,4 Prozent und in Belgien 3,7 Prozent betrug.

Ebenfalls nicht eingetreten sei der Kollaps der 24-Stunden-Betreuung, die fast ausschließlich durch Osteuropäerinnen geleistet wird, sagen Fenninger und Marschitz. Ob da ein Problem aufgebauscht wurde, indem etwa die Wirtschaftskammer unter einigem Trara Frauen via Flieger und Zug aus Rumänien importierte? Sie hätten wegen Reisebeschränkungen selbst einen Engpass befürchtet, antwortet das Duo, letztlich hätten unerwartete Effekte entscheidend geholfen. Die Aussicht auf 14 Tage Lagerquarantäne im Heimatland habe etwa slowakische Betreuerinnen dazu bewogen, viel länger als geplant in Österreich zu bleiben, sagt Marschitz: "Der Sonderzug aus Rumänien hat das System nicht gerettet." (Gerald John, 2.7.2020)