Der russische Präsident Wladimir Putin hat einen Beitrag zu 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges verfasst. Das russische Außenministerium wollte den (historisch eigenwilligen) Essay jetzt gerne in der anerkannten österreichischen Fachzeitschrift "Europäische Rundschau" veröffentlichen.

Aber leider wird die Zeitschrift nach 47 Jahren eingestellt. Es finden sich keine Sponsoren mehr, und das Interesse an fundierten außenpolitischen Analysen mit Schwerpunkt Mittel-und Osteuropa ist in Österreich offenbar enden wollend.

Die "Europäische Rundschau" ist eine Gründung des bekannten Publizisten Paul Lendvai, der 1972 daranging, eine "mitteleuropäische" Entsprechung zu internationalen Fachzeitschriften wie den amerikanischen "Foreign Affairs" oder den britischen "International Affairs" zu schaffen. Die Situation war günstig. Unter Bruno Kreisky hatte das kleine, selbstbezogene Österreich eine aktive Außenpolitik begonnen. Der "Ostblock" lag noch unter meterdickem kommunistischem Eis, aber es bestand Interesse an wirtschaftlichen, aber auch intellektuellen Kontakten.

Der Gründer der "Europäische Rundschau" und Kolumnist des STANDARD Paul Lendvai.
Foto: Heribert CORN

Viele bekannte Publizisten wie Tony Judt, Walter Laqueur, André Fontaine, Timothy Garton Ash, aber auch Politiker wie Karel Schwarzenberg, Wladyslaw Bartoszewski, Erhard Busek und Heinz Fischer schrieben für die "Rundschau". Sie war ein Medium des Ost-West-Dialoges, ohne in Neutralismus und Diktaturverstehertum abzugleiten. Sie begleitete die Transformationsprozesse in Osteuropa, die große Wende 1989, später den Zerfall der Sowjetunion, aber auch Jugoslawiens. Zum 40-Jahr-Jubiläum sagte Karel Schwarzenberg: "Es gab zwei Institutionen in Wien, die in ganz Zentraleuropa eine ungeheure Rolle gespielt haben, die eine ist das Institut für die Wissenschaften vom Menschen, die zweite die "Europäische Rundschau"."

Wandel in Osteuropa

Lendvai flüchtete nach 1956 aus Ungarn, war Korrespondent der "Financial Times", später machte ihn Gerd Bacher zum Chef der Osteuropaabteilung des ORF. Gastgeber des "Europastudio" im ORF, ist bis heute Kolumnist des STANDARD.

Die Zeitschrift begleitete den allmählichen Wandel in Osteuropa, dann die plötzliche "Wende" 1989, zuletzt das Abgleiten etlicher neuer EU-Mitglieder in den Autoritarismus. Die "Europäische Rundschau" war immer abhängig von Unterstützern, von Persönlichkeiten und Institutionen, die an den Blick über den europäischen Tellerrand glaubten. Banker wie Heinrich Treichl, Josef Taus, Gerhard Randa, zuletzt Walter Rothensteiner, Politiker wie Erhard Busek oder Heinz Fischer.

Diese Generation ist nicht mehr da oder nicht mehr in entscheidenden Positionen. Aber es hat sich auch etwas in der Art verändert, wie in Österreich Außenpolitik gesehen wird. Es geht jetzt oft um schnelle, populistisch verwertbare Erfolge, um "Verkaufbares". Es ist oft weniger Außenpolitik als Auslagenpolitik.

Dabei gäbe es wieder Bedarf an mittel- bis langfristiger Strategie. Nicht zufällig ist das letzte Heft der "Rundschau" stark von den Folgen historischer Traumata Ungarns bestimmt. Wie umgehen mit den osteuropäischen EU-Mitgliedern, die in nationalpopulistische Pseudodemokratie abgleiten wie Polen oder Ungarn, und den Aufnahmekandidaten wie Serbien? Was tun gegen die nationale Eigenbrötlerei auch innerhalb der EU? Darauf würde man gerne weiter fundierte Antworten lesen. (Hans Rauscher, 4.7.2020)