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Der Harvard-Fan Jeffrey Epstein hatte Zugang zum Mathematik-Institut.
Foto: Getty Images/Rick Friedman Photography/Corbis

Inmitten einer Flut an Meldungen über die Corona-Pandemie ging Anfang Mai eine Nachricht fast unter: jene über prominente Harvard-Wissenschafter und deren durchaus fragwürdige Verbindungen zu dem wegen Missbrauchs Minderjähriger rechtskräftig verurteilten Investmentbanker Jeffrey Epstein. Der "Report Concerning Jeffrey E. Epstein’s Connections to Harvard University" zeigt, wie Epstein nach seiner vorzeitig wegen guter Führung beendeten ersten Gefängnisstrafe versucht hat, seine Reputation als Mäzen von Wissenschaft und Forschung an der Elite-Hochschule wieder herzustellen und dabei offenbar vom österreichischen Biomathematiker Martin Nowak stark unterstützt wurde.

Dazu muss man wissen: Epstein hatte Nowaks Program of Evolutionary Dynamics (PED) mit Sitz am Harvard Square mit einer Spende in der Höhe von 6,5 Millionen Dollar mit aufgebaut. Der aus Klosterneuburg stammende Biomathematiker war zuvor in Oxford und in Princeton gewesen und galt als eines der größten mathematischen Talente weltweit, was er auch durch eine lange Publikationsliste – nicht zuletzt in Top-Journals wie "Nature" und "Science" – beweisen konnte.

Im Report aus Harvard steht nun: Nowak habe Epstein Zugang am Harvard Square gegeben. Es sei zu etwa 40 Besuchen gekommen, angeblich in Begleitung junger Frauen. Nowak dürfte dem "registrierten Sexualstraftäter", so der Bericht, sogar ein Büro zur Verfügung gestellt haben (Jeffrey’s Office). Dazu gab er Epstein die Chance, sich auf der Website des Instituts selbst darzustellen – und auf die eigene Homepage zu verlinken. Erst der Protest einiger Epstein-Opfer 2014 beendete diesen Freundschaftsdienst, die Webeinträge wurden entfernt.

Der Biomathematiker Martin Nowak.
Foto: Peter Illetschko

Nun wird untersucht, ob Nowak mit den dokumentierten Aktivitäten gegen die Compliance-Regeln in Harvard verstoßen habe. Der Wissenschafter wurde bis zur Klärung der Frage beurlaubt. Wann das genau sein könnte, war aber weder von ihm selbst noch von der Universitätsleitung in Harvard zu erfahren. Eine entsprechende Anfrage an Diane E. Lopez, Vizepräsidentin und General Counsel der Harvard University, sie hat die Erstellung des Reports geleitet, wurde vom Pressebüro beantwortet: Abgesehen vom vorliegenden Report habe Harvard keinen zusätzlichen Kommentar zur Rolle des Biomathematikers, hieß es da. Nowak selbst reagierte auf entsprechende Anfrage des STANDARD mit der Antwort, "keine Stellungnahme abgeben zu können". Strafrechtlich relevante Taten werden Nowak keine vorgeworfen.

Fragwürdige Rolle

Die Rolle der Harvard-Verantwortlichen in der Affäre scheint aber auch aufklärungsbedürftig zu sein: Als Epstein 2008 erstmals verurteilt wurde, hatte die damalige Harvard-Präsidentin Drew Faust verfügt, die Elite-Hochschule dürfe keine weiteren Spenden annehmen. Daran dürfte sich Nowak auch gehalten haben. Die Besuche Epsteins in Harvard sollen aber bekannt gewesen sein, heißt es.

Trotz der klaren Verfügung von Faust dürfte das Development Office laut Report "unterschiedliche Signale in dieser Causa ausgesendet haben". So habe das Büro Epstein 2013 zum Auftakt der Capital Campaign eingeladen. Er soll aber nicht erschienen sein. Auf Seite 15 des Reports ist außerdem vermerkt, dass ein Mitarbeiter des Development Office der Fakultät Art & Science in Harvard Nowak gebeten habe, Epstein wieder um Unterstützung zu bitten. Nowak hat im Zuge von Interviews für diesen Bericht übrigens von einem unklaren Regelwerk gesprochen.

Im vergangenen Jahr erhängte sich Epstein nach einer weiteren Verhaftung in seiner Zelle im Metropolitan Correctional Center in Manhattan. Bei einer Verurteilung hätten dem damals 66-jährigen Mann 45 Jahre Haft gedroht, er wurde beschuldigt, dutzende minderjährige Frau missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben. Mittlerweile gibt es eine vierteilige Mini-Dokuserie auf Netflix namens "Jeffrey Epstein – stinkreich", in der vor allem die Opfer zu Wort kommen, sie berichten von Übergriffen, Vergewaltigung und Nötigung zur Prostitution.

Epsteins Kontakte zur Wissenschaft werden dabei kaum erwähnt. Bekannt ist, dass er einige der klügsten Köpfe mit großen Summen unterstützt hat, unter anderem Stephen Hawking, die Nobelpreisträger Gerard ’t Hooft, David Gross und Frank Wilczek, aber auch den anerkannten Genforscher George Church, der in Harvard und am benachbarten Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Professur innehat. Er hat sich mittlerweile für die Annahme der Gelder entschuldigt.

Harvard hat laut Report zwischen 1998 und 2008 insgesamt 9,1 Millionen Dollar von Epstein erhalten. Der Präsident der Universität versprach, die nicht ausgegebenen Mittel in der Höhe von etwa 201.000 Dollar an Organisationen zu spenden, die Missbrauchsopfer unterstützen. Auch das MIT erhielt Zuwendungen von Epstein: Zwischen 2002 und 2017 insgesamt 850.000 Dollar. Alle Spenden gingen an den mittlerweile verstorbenen Computerwissenschafter Marvin Minsky, den damaligen MIT-Media-Lab-Direktor Joi Ito oder Seth Lloyd, Maschinenbau-Experte – und zwar mit Wissen der MIT-Direktoren, die die Spenden akzeptierten, wenn sie anonym blieben.

Ethische Richtlinien

Der Fall Epstein und seine Verstrickung mit den Wissenschaften hat an beiden Elite-Unis zu Debatten über ethische Richtlinien geführt. In Harvard will man die Annahme von Spenden, in den USA angesichts vieler Millionäre mit starker philanthropischer Grundhaltung, neu und besser monitoren als zuvor. Der unter Druck geratene Media-Lab-Chef Ito ist im vergangenen Jahr zurückgetreten. Ob es in Harvard personelle Konsequenzen geben wird, bleibt abzuwarten. Martin Nowak, korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) könnte, laut Beobachtern, Harvard verlassen müssen.

In Österreich hat derweil nur die Akademie selbst auf den Fall reagiert: Sie sei "höchsten wissenschaftsethischen Standards verpflichtet. Daher beobachten wir das ... Verfahren an der Harvard University genau und werden nach Abschluss der Untersuchung prüfen, ob und welche Maßnahmen ... zu ergreifen sind." (Peter Illetschko, 4.7.2020)