Dozentin Daniela Pisoiu findet, dass Österreich keine "integrationshemmende und polarisierungsfördernde Pauschalisierung braucht", sondern eine echte Integrationspolitik.

Bei den Ereignissen der vergangenen Tage in Wien-Favoriten handelt es sich um Angriffe einer Gruppierung mit rechtsextremistischem Einschlag auf legale Kundgebungen und Einrichtungen, nicht um Auseinandersetzungen innerhalb der türkischen Community – und schon gar nicht um Parallelgesellschaften und mangelnde Integration. Warum also der Reflex in manchen politischen Diskursen, Erscheinungen von Extremismus und Radikalisierung, die sich nicht auf den einheimischen Rechtsextremismus beziehen, sofort mit mangelnder Integration zu assoziieren. Und ist er überhaupt begründet?

Die Angriffe auf eine kurdische Demo in Wien-Favoriten haben zu Aufregung geführt. Die Angst vor radikalen Kräften ist groß.
Foto: APA/Schrotter

Fast zwanzig Jahre intensive Radikalisierungsforschung, sowohl im islamistischen als auch im rechtsextremistischen Bereich, ist unter anderem zu der klaren Schlussfolgerung gekommen, dass einfache Variablen wie Armut oder "Integration" in keinem kausalen Zusammenhang mit Radikalisierung stehen. Ganz wesentlich für das Verständnis dessen, wie Radikalisierung funktioniert, ist das Zusammenspiel zwischen den Rekrutierungsstrategien extremistischer und terroristischer Organisationen und der persönlichen Lebenslage und Wünsche einzelner Individuen sowie die Sozialisierung in extremistische Ideologien und in eine extremistische Gruppe.

Pauschale Verurteilungen

Eine beachtliche Rolle – sowohl radikalisierungshemmend als auch radikalisierungsfördernd – spielen staatliche Maßnahmen und Diskurse. Pauschale Verurteilungen ganzer Gemeinschaften, stigmatisierende Aussagen und evidenzlose Annahmen über Radikalisierungsverläufe wirken radikalisierungsfördernd und tragen zudem zur Polarisierung in der Gesellschaft bei. Aktuelle innere sicherheitspolitische Trends in der EU legen den Schwerpunkt zurzeit auf die Vermeidung beziehungsweise Bekämpfung der Polarisierung und der Stärkung sozialer Kohäsion. Auch die Einbeziehung der Communitys – aller Gemeinschaften in der Gesellschaft – ist eine wichtige Säule der Präventionspolitik.

Hierzulande wird stattdessen versucht, eine in Europa vergleichsweise starke soziale Kohäsion und eine wenig polarisierte Gesellschaft zu schwächen, indem man Communitys stigmatisiert und sie mit den gewalttätigen Ausbrüchen extremistischer Organisationen pauschal assoziiert. Dabei wird die Diskussion thematisch unter dem Deckmantel der Integration anstatt der Extremismusbekämpfung platziert.

An extremistischen Organisationen und Gruppierungen sowohl im islamistischen als auch im rechtsextremistischen Bereich fehlt es in Österreich nicht, inklusive der Grauen Wölfe – einer türkischen, rechtsextremistischen Organisation. Diese Organisationen und Gruppierungen sollten nicht nur im islamistischen, sondern in beiden Spektren unter Beobachtung stehen – und abseits des schwammigen Begriffs des sogenannten "politischen Islam", der im politischen Diskurs sowohl auf extremistische als auch legale und demokratiekonforme Organisationen verweist.

Diese Beobachtungstätigkeit gehört zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes und nicht zu jenen der Wissenschaft oder der ‚Integration‘. Sie kommt in Österreich leider viel zu kurz, was ein Blick auf die mit Zahlen und Daten zu extremistischen Organisationen ausgestatteten Verfassungsschutzberichte in Deutschland verdeutlicht. Schließlich bedarf es einer sachlichen und evidenzbasierten Diskussion zum Thema Integration, die über vereinfachte und wenig relevante Elemente hinausgeht – wie etwa, ob Kinder zuhause die Muttersprache sprechen.

Communitys einbeziehen

Die internationale wissenschaftliche Literatur unterscheidet für gewöhnlich zwischen der politischen, sozialen und ökonomischen Dimension von Integration. Inbegriffen in diesen Dimensionen sind Faktoren wie Teilnahme und Teilhabe am politischen Prozess, das Bildungs- und Einkommensniveau sowie soziale Interaktion und Identität.

Es bedarf auch einer Integrationspolitik, die sich positiv an sachlichen Fragen orientiert, anstatt sich negativ als Brecher eines angenommenen Integrationswiderstands darzustellen. Die Stadt Wien weist ein hohes Niveau an sozialer Integration und ethnischer Durchmischung auf. Dies ist nicht überraschend, da Initiativen von Wien im Bereich der Arbeit mit Communitys und der sozialen Kohäsion als Best Practice auf EU-Ebene anerkannt wurden.

Politische Teilhabe ist allerdings ein ausbaufähiges Feld. Das wurde im Rahmen einer von uns gerade abgeschlossenen Studie in Interviews mit den Communitys – inklusive der "einheimischen" – in einem Wiener Bezirk bestätigt. Darin äußerten sie alle im Übrigen ihre Bereitschaft, bestehende Initiativen der Stadt Wien auszuweiten und brachten eigene Ideen in den Bereichen Integration und Prävention ein.

Österreich braucht keine integrationshemmende und polarisierungsfördernde Pauschalisierung, sondern eine echte Integrations- und Präventionspolitik, die Communitys nicht entfremdet, sondern einbezieht. (Daniela Pisoiu, 4.7.2020)