Auf die Frage, welchen Ort er zum Leben wünschte, wenn er noch einmal auf die Welt kommen sollte, antwortete Maestro Luciano De Crescenzo: "Ich würde wieder Neapel wählen." Diese ungeteilte Liebe zu Neapel teilt Elisabetta de Luca mit dem vergangenes Jahr verstorbenen Philosophen. Die ebenfalls in Neapel geborene, seit Jahren aber in Wien lebende Autorin beschreibt in ihrem aktuellen Neapel-Porträt eine ihrer frühen Begegnungen mit De Crescenzo als "Erinnerung an eine unterhaltsame, lehrreiche und ganz private Stunde mit einem der größten Schriftsteller und Philosophen unserer Zeit". Ein Foto, das sie an jenem Nachmittag mit einer alten Kamera gemacht hatte, bewahre sie bis heute "wie ein kleines Heiligtum" auf. Es zeigt Luciano De Crescenzo an seinem Schreibtisch sitzend, daneben eine Sokrates-Büste mit Hut und im Hintergrund eine Wand, die bis zur Decke hinauf mit gerahmten Covern aller weltweit von ihm erschienenen Bücher dekoriert war. "Heute steht dieses Foto gemeinsam mit den Bildern meiner Familie auf der Kommode im Wohnzimmer, von wo Luciano De Crescenzo mich allzeit daran erinnert, mir selbst stets treu zu bleiben und so wie er ein Mensch zu sein, der die Welt mit den Augen der Liebe sieht" – als klassischer "uomo d’amore".

Elisabetta de Luca, "Neapel abseits der Pfade". € 14,90 / 216 S. Braumüller 2019
Foto: Braumüller

Ähnlich persönlich sind auch all ihre abseitigen Empfehlungen von unbekannten und verborgenen Plätzen, Bars, von Spaziergängen in der hierzulande oft eher skeptisch bis (fälschlicherweise) negativ konnotierten Stadt am Fuß des Vesuvs. Sie rückt das öffentliche Bild einer zwischen Mafiosi, Politik, Korruption, Kriminalität, Fußball, Pizza und Kirche gleichmäßig beherrschten Metropole zurecht und zeigt ein von Lebensfreude, Anachronismus und feiner Melancholie geprägtes Bild.

Neapel kann – inklusive des Dolcefarniente – auch als Symbol und Spiegelbild ganz Italiens und der sprichwörtlichen Italanità gelten. Neapel und die Costiera amalfitana, seit Goethe der Sehnsuchtsort und Synonym eines mythisch paradiesischen Arkadiens, ist vielfältig.

Elisabetta de Lucas Perspektiven sind nicht nur positiv, keineswegs blind. Auf jeden Fall kontroversiell und interessant. Kein billiges Abziehbild voller Klischees, sondern ein Kaleidoskop des gewiss Ungewissen. Gerade jetzt, nach Corona, mitten in Italiens Superwahljahr, ein amikaler Wegweiser. (Gregor Auenhammer, 3.7.2020)