Burgenlands streitbarer Landeshauptmann bricht auf nach Deutschland, um den dortigen Genossen sein Erfolgsrezept zu erklären.

Foto: Matthias Cremer

Im Landeshauptmann-Büro steht kein Schreibtisch. Nur Besprechungssitzgruppen. Seit neuestem hängt ein Bild des roten Über-Großvaters an der Wand. "Manchmal", sagt Hans Peter Doskozil, "denk ich, er denkt sich: Was reden die da überhaupt?" DER STANDARD hatte Bruno Kreisky im Rücken und fühlte sich beim Fragen daher fast unbeobachtet.

STANDARD: Ab Mittwoch touren Sie durch Deutschland, besuchen SPD-Organisationen in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg. Was interessiert die deutschen Genossen?

Doskozil: Es hat immer schon gute Kontakte gegeben. NRW und Baden-Württemberg sind jetzt auf uns zugekommen. Dort gibt es bald Wahlen, und unser Erfolg im Burgenland ist ja nicht unbeobachtet geblieben. Aber insgesamt glaube ich auch, wir sollten uns mehr vernetzen, über den Tellerrand schauen. Auch oder gerade dorthin, wo es wirklich schlimm ist. Nach Ungarn zum Beispiel. Wenn man gesehen hat, wie erbärmlich die sozialdemokratische Fraktion im Budapester Parlament untergebracht ist – ein Zimmerl, grad einmal ein Drittel von meinem Büro hier –, gewinnt man erst Verständnis dafür, wie weit es gehen kann, wenn man nicht aufpasst. Auch in Deutschland nimmt die Sozialdemokratie eine Entwicklung, die einem Abwärtstrend gleicht. Und durch manche Persönlichkeiten sogar in ein schiefes Licht gerät.

STANDARD: Sigmar Gabriel ist aber kein Ausnahmefall.

Doskozil: Den wollte ich jetzt gar nicht ansprechen. Da gibt es genug andere, auch in Österreich. Das ist ein Facette, die – wie soll ich das sagen? – das negativ transportierte Bild der Sozialdemokratie abrundet. Sozialdemokratische Politik kann man nicht so machen, dass man sagt: Von 1993 bis 1999 bin ich glaubwürdig, und wenn ich aus der Politik draußen bin, bin ich ein komplett anderer Mensch. Das schadet der ganzen Sozialdemokratie. Das war etwa der Gerhard Schröder in Deutschland. Das ist sein Vermächtnis, Hartz IV, die Minipensionen. Und das alles bei einem Staatshaushalt, der mitunter ein Milliardenplus schreibt.

STANDARD: Finanzminister Olaf Scholz ist aber schon Sozialdemokrat?

Doskozil: Eben. Ich bin auch privat viel in Deutschland. Wenn ich da zum Beispiel 75-jährige Taxifahrer sehe! Mit den Kinder war ich in einem Vergnügungspark, wenn ich dort sehe, wie Pensionisten zusammenräumen! Wenn der "Spiegel" schreibt, dass 30 Prozent der Arbeitsverhältnisse prekäre Lohnsituationen sind! Wenn ich das alles sehe, da muss ich mich ja fragen: Wozu brauche ich die SPD?

STANDARD: Das sagen Sie den Genossen im großen und großkoalitionären Deutschland? Der Landeshauptmann des kleinen Burgenlandes?

Doskozil: Natürlich sage ich das. Wenn man glaubwürdig Politik macht, muss man auch kritisch nach innen sein. Ich glaube, das bin ich auch in Österreich genug. Bei meinem ersten offiziellen Besuch in Deutschland, 2016 war das, hab ich Sigmar Gabriel getroffen, da war er Wirtschaftsminister. 19 Milliarden Überschuss hat damals der Finanzminister zu verteilen gehabt. Da hätte man doch was tun müssen! Die Parteilinken haben aber nur über Flüchtlinge und Asyl geredet. Mit echten sozialdemokratischen Themen war nichts zu machen. Gabriel hat zu mir gesagt, wortwörtlich: Unsere Truppe in Berlin ist zu 90 Prozent links, ich komme dort damit nicht durch. Wenn ich diese Meinung vertrete, hauen sie mich raus.

STANDARD: Kennen Sie sowas nicht selber auch ganz gut?

Doskozil: Wir haben keine 90 Prozent. Wir haben eine Minderheit, die immer geringer wird. Gewisse exponierte Persönlichkeiten aus diesem Segment können aber nichts anfangen damit, dass wir eigentlich klassische linke Politik machen: Mindestlohn, Anstellung pflegender Angehöriger und so weiter. Etwas, das linke Paradepolitiker – sag' ich jetzt mit Blick auf Kärnten – nicht machen. Warum machen die keinen Mindestlohn? Warum stellen sie die pflegenden Angehörigen nicht an zum Mindestlohn. Viele können nicht umgehen mit dem Umstand, dass ich jetzt nicht mehr nur der Fremden-, Asyl- und Migrationspolitiker bin. Sondern auch einer, der nachgewiesenermaßen Basispolitik macht. Ich mache linke Basispolitik.

STANDARD: Das kleine Dänemark, das sehr kleine Burgenland – warum funktioniert die beschriebene Politik in kleinen Einheiten, aber nicht dort, wo das Herz der Sozialdemokratie immer geschlagen hat, in den Zentren?

Doskozil: Hm . . . Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vorm Parteitag sitzt man zusammen und überlegt sich, welche Themen man setzen könnte. Dann sagt einer: Wir machen was zum Thema "leistbares Wohnen". Und wie? Die Mehrwertsteuer muss weg! Ja, super! Aber das ist dann schon das Programm. Das kann ich zwischendurch beim Kaffee entwerfen. Man kann sowas doch nicht tun, ohne das Genossenschaftssystem zu hinterfragen. Ohne zu wissen, wo in Wirklichkeit das Geld gemacht wird, wie Genossenschaften oft mit sozialem Wohnbau umgehen. Wenn ich also das Fachwissen nicht habe, kann ich keine g’scheite Politik machen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem die Bevölkerung die Defizite mitkriegt. Und ab da verliert man dann eben.

STANDARD: Im Burgenland hat die SPÖ eine Absolute gewonnen. Was macht man da anders?

Doskozil: Das macht mich ja ein bisschen wurlert. Jetzt hab ich eine satte Mehrheit erreicht im Land mit dem Modell Mindestlohn, Pflege, Biowende – verschiedene Facetten. Und die kommen immer noch mit der unreflektierten Diskussion um die 30-Stunden-Woche. Das ist lächerlich! Auch die Mitgliederbefragung hat ergeben, dass der Mindestlohn wichtiger ist als die Arbeitszeitverkürzung. Manchmal wissen sie ja nicht einmal, was 1700 netto oder 1700 steuerfrei bedeutet. Und schauen wir nach Europa: Wenn die Dänen Erfolg haben, wenn andere sozialdemokratische Gruppen Erfolge haben, entsteht Neid. Dann will man mit denen gar nichts mehr zu tun haben. Das sehe ich als ein Problem in der Sozialdemokratie. Sich gegenseitig zu schätzen, Erfolge anzuerkennen, davon auch zu lernen, zusammenzustehen, sich auch kritisch auseinanderzusetzen, aber fair kritisch – das gibt es weder auf Bezirks-, noch Landes- oder Bundeseben. Aber auch europaweit nicht.

STANDARD: Apropos Europa. Gibt es da was sozialdemokratisch Relevantes?

Doskozil: Was wir auf europäischer Ebene sicher versäumt haben, ist eine Vernetzung in Richtung Europawahlen, Funktionen, Positionierungen, ein gemeinsames Wahlprogramm. Sind wir europäisch nur wirtschaftsliberal unterwegs oder nicht? Ungarn kriegt Förderungen, ohne dass dort die Löhne und Pensionen auch nur einen Cent steigen. Es braucht eine Verknüpfung der europäischen Förderpolitik mit der Lohnpolitik und der Gesundheitspolitik, der Sozialpolitik. Was kommt bei den Menschen an? Was haben die Ungarn davon, wenn Autobahnen gebaut werden, aber die Menschen können sich die Maut kaum leisten? Das fehlt mir europapolitisch komplett. Es gibt wenige sozialdemokratische Politiker, die in dieser Richtung unterwegs sind.

STANDARD. Für den Fall, dass Sie so einer wären: Was wäre Ihr Ziel?

Doskozil: Das wäre etwa die traditionelle österreichische Sozialpartnerschaft, die bei uns jetzt sukzessive abgebaut wird. Eine europäische Sozialpartnerschaft wäre doch super. Wie schaffe ich es, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik ausgeglichen sind? Aus meiner Sicht darf die Waage in keiner Richtung besonders ausschlagen. Derzeit schlägt sie zu sehr in Richtung Wirtschaftspolitik.

STANDARD: Ist sowas in absehbarer Zeit tatsächlich realistisch?

Doskozil: Ich bin immer optimistisch. Wir haben im Burgenland etwas geschafft, was vor zwei, drei Jahren keiner prognostiziert hätte. Auf Bundesebene sieht man, wie sehr der Kanzler beginnt, sich abzunützen. Es wird ihm mittelfristig auf den Kopf fallen, dass er eine fachlich schwache Ministerriege hat. Da sind die grünen Minister besser. Vielleicht haben wir also in vier Jahren einen sozialdemokratischen Bundeskanzler.

STANDARD: Oder Bundeskanzlerin?

Doskozil: Oder Bundeskanzlerin. Ich bin zuversichtlich, dass wir für die nächsten Wahlen gut aufgestellt sein werden.

STANDARD: Die nächsten Wahlen sind in Wien. Werden Sie tätige Hilfe leisten?

Doskozil: Wien ist die wichtigste Landesorganisation. Wenn dort was passieren würde, würde das die österreichische Sozialdemokratie extrem erschüttern. Wir werden jedenfalls versuchen, das Unsrige zu einem Erfolg von Michael Ludwig beizutragen. (INTERVIEW: Wolfgang Weisgram, 6.7. 2020)