In der Debatte um die Verkehrszukunft der Inneren Stadt darf es nicht bei einer Insellösung bleiben, es braucht ein Gesamtkonzept für die Stadt. Lebendige Parks und Plätze, mehr Raum für Fußgänger, Räder und Öffis bedeuten nicht zuletzt Platz für jene, die keine Dachgeschoßterrassen, keine privaten Gärten und keinen SUV ihr Eigen nennen. Das ist eine zutiefst soziale Frage.

Es gibt daher ein starkes gemeinsames Interesse in dieser Koalition, den Straßenraum gerechter zu verteilen und urbanen Hitzeinseln mit Baumpflanzungen, Entsiegelung und Wasser in der Stadt gegenzusteuern. Das rot-grüne Dauersticheln im Vorwahlkampf ist in der Sache daher weitgehend sinnfrei. Statt isolierter PR-Aktionen braucht es ein gemeinsames Vorgehen.

Keine Beschwichtigungsübung

Unabhängig davon, wie aufrichtig der Begriff einer "autofreien Innenstadt" für die faktische Planung der größten Anwohnerinnen- und Anwohnerzone Wiens im gesamten ersten Bezirk gewählt ist: Entscheidend ist, dass der ruhende und fließende Verkehr nicht in die angrenzenden Wohnviertel verdrängt wird und wie der gewinnbare öffentliche Raum gestaltet wird.

Es ist daher seitens der Frau Vizebürgermeisterin längst überfällig, alle betroffenen Bezirke zu einem runden Tisch zusammenzuholen. Nicht als Beschwichtigungsübung, sondern um konstruktiv und konkret zu planen, welche Begleitmaßnahmen geplante Änderungen in der Inneren Stadt erfordern.

Die SPÖ sieht die Pläne zur Verkehrsberuhigung des ersten Wiener Gemeindebezirks skeptisch.
Foto: APA/Pfarrhofer

Bei dieser Gelegenheit sollten wir aber gleich über die noch viel weiter reichende Frage sprechen: wie eine menschen- und klimagerechtere Gestaltung des öffentlichen Raums flächendeckend auch außerhalb des Rings ankommt. Die Stadtregierung hat da im Kleinen doch positive Erfahrungen gesammelt. Im Vorjahr haben SPÖ-Umweltstadträtin Ulli Sima und die damals noch designierte Verkehrsstadträtin Birgit Hebein Fördertöpfe vorgestellt, mit denen in den Bezirken von Baumpflanzungen über Wasserelemente bis zur Verkehrsberuhigung bauliche Maßnahmen mit bis zu 90 Prozent der Investitionskosten gefördert werden. Hunderte neue Baumpflanzungen und dutzende Umgestaltungen sind das Ergebnis dieses investiven Testballons.

Liegt es im Wissen um das Funktionieren dieses Ansatzes nicht eigentlich nahe, dieser rot-grünen Erfolgsgeschichte ein weiteres, noch größeres Kapitel hinzuzufügen? In unseren Bezirken haben wir dutzende Projekte, die wir lieber heute als morgen umsetzen würden. Sei es eine Begegnungszone in der Mariahilfer Amerlingstraße, die Planung eines ganzen Begegnungsgrätzels rund um die Große Neugasse auf der Wieden oder die dauerhafte Umgestaltung in der Alsergrunder Hörlgasse: Gemeinsam mit den Anwohnenden wollen wir die Wohngrätzel noch lebenswerter machen. Verkehrsberuhigung und bessere Verteilung des öffentlichen Straßenraums? Mehr Straßenbäume? Mehr Platz für Fußgänger und Räder? Ja, gerne, jederzeit!

Abstrakte Konflikte

Zwei Faktoren sind für einen Erfolg nach unserer Auffassung entscheidend: Hören wir zum einen auf, abstrakte Konflikte zu führen, und beziehen wir alle Anwohnenden in einen positiv ausgerichteten Gestaltungsprozess ein. Beteiligung ist kein Hemmschuh, sondern schafft bessere Ergebnisse. Auch Autofahrende haben ein Interesse daran, dass die Straßen, in denen sie wohnen, gegen Hitze geschützt werden, dass ihre Kinder und Enkel sicher im Straßenraum unterwegs sind, dass ihre Eltern und Großeltern auf einer Sitzbank Rast machen können, wenn sie einkaufen gehen. Mediale "Kriegserklärungen" gegen einzelne Mobilitätsgruppen brauchen nur jene, die auch sonst unsere Gesellschaft spalten wollen.

Langes Warten

Wir benötigen weniger PR-Aktionen und Ankündigungen und dafür mehr machbare Lösungen: z. B. ein anbieterübergreifendes Konzept, um leerstehende Privatgaragen auffindbar und die Verlagerung von Stellplätzen aus dem öffentlichen Raum finanziell attraktiver zu machen. Oder eine annähernd so rasche Umsetzung von Radmarkierungen, Zebrastreifen und neuen Anwohner-Parkzonen durch das Verkehrsressort, wie zuletzt die PR-Projekte der Vizebürgermeisterin umgesetzt wurden. Als Beispiel: Zum Teil warten wir seit Monaten auf Antworten des Verkehrsressorts zu gewünschten innerstädtisch koordinierten Temporeduktionen auf Hauptstraßen.

Zum anderen und vor allem brauchen wir ein entsprechendes Investitionspaket für die Bezirke. Denn uns fehlen die Mittel für großangelegte, strategische Straßenumgestaltungen über mehrere Jahre. So wie der Bildungsstadtrat bei Schulsanierungen bis zu 90 Prozent der Investitionskosten übernimmt, brauchen wir auch vom Verkehrsressort ein großes Investitionspaket für den sozialen Raum, für eine gerechte, menschen- und klimafreundlichere Gestaltung öffentlicher Verkehrsflächen. Dann werden wir statt netter Symbole mit menschenleeren, temporär beschilderten Fahrbahnen sehr rasch sehr viele verkehrsberuhigte Grätzel sehen, in denen es mehr Platz für Fußgänger und Räder und ein gutes Miteinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmer gibt. Dann reden wir nicht nur von Visionen für einen Bezirk, sondern setzen sie tatsächlich in ganz Wien um. (Saya Ahmad, Lucia Grabetz, Lea Halbwidl, Astrid Rompolt, Markus Rumelhart, Heinz Vettermann, Gallus Vögel, 6.7.2020)