Großbaustellen wie jene des Brenner Basistunnels in Ahrenberg in Tirol sind aus Sicht des Klimaschutzes keineswegs so idyllisch wie es aussieht.

Fotos: APA / EXPA / Johann Groder

Wien – Neben strukturellen, verkehrsplanerischen und wirtschaftlichen Schwächen diverser Verkehrsprojekte wie des Brenner Basistunnels (BBT) legt der EU-Rechnungshof seine Finger auch in klimaschutztechnische Wunden. "Bei den von Megaprojekten erzielten ökologischen Vorteilen in Bezug auf die CO2-Emissionen müssen die negativen Auswirkungen des Baus und die langfristigen positiven Auswirkungen des Betriebs nach Fertigstellung der Infrastruktur berücksichtigt werden", warnt der EU-Rechnungshof in seinem jüngst vorgelegten Sonderbericht.

Dies mit gutem Grund, denn der Bau neuer großer Verkehrsinfrastrukturen ist eine bedeutende Quelle von CO2-Emissionen – einerseits bei der Herstellung von Baumaterialien (Zement, Beton, Sand, Schotter) und Maschinen, andererseits durch die Bauarbeiten, denn Material und Aushub werden großteils mit Lkws an- und abtransportiert. Zwar wird dieser Aspekt bei kaum einem Projekt professionell beleuchtet, und die dabei verursachten Treibhausgasemissionen wurden auch vom EU-Rechnungshof nicht detailliert herausgearbeitet. Bei in der Regel zehn Jahre währenden Bauphasen von Tunnelbauwerken ist laut Klimaschutzexperten allerdings davon auszugehen, dass in den Klimabilanzen der betroffenen EU-Staaten abseits der dem Emissionshandel unterliegenden Zementindustrie beträchtliche Mengen an CO2-, Feinstaub- und anderen THG-Emissionen anfallen.

Millionen an Emissionen

Allein die CO2-Emissionen der umstrittenen Bahnstrecke Turin–Lyon mit ihrem mehr als 25 Kilometer langen Tunnel gibt der französische Infrastrukturbetreiber mit zehn Millionen Tonnen an. Einen Nettonutzen in Bezug auf CO2-Emissionen wird das 2019 auf mindestens 9,6 Milliarden Euro taxierte Großprojekt inklusive Zulaufstrecken aber "erst 25 Jahre nach Baubeginn erbringen", errechnete der EU-Rechnungshof auf Basis der zugrunde liegenden Verkehrsprognosen.

Das bei Megabaustellen wie dem Brenner Basistunnel bewegte Material wie Beton, Erdreich, Sand, Zement, Schotter und die dazugehörigen Transporte belasten das Klima – und relativieren den grünen Nutzen des Bahnausbaus.

"Wenn das Verkehrsaufkommen nur die Hälfte des vorhergesagten Niveaus erreicht, dauert es 50 Jahre ab Inbetriebnahme der Infrastruktur, bis die durch den Bau verursachten CO2-Emissionen ausgeglichen sind", warnen die Prüfer in Luxemburg. Diese Unsicherheit ist, wie beim Brenner Basistunnel auch, beträchtlich. Auf der Verbindung Turin–Lyon müsste die auf der Bahn transportierte Fracht von aktuell drei Millionen Tonnen bis zum Jahr 2035 auf 24 Millionen Tonnen gesteigert werden, also das Achtfache.

Kosten jetzt, Klima-Wirkung fraglich

Zum Vergleich: Insgesamt werden auf dieser Strecke pro Jahr auf Bahn und Straße zusammen 44 Millionen Tonnen Güter befördert. Um die Bahnfrachtraten derart massiv zu steigern, müssten also auch Bahngütertransporte angesaugt werden, die derzeit über die schweizerische Alpentransversale (Gotthard, Lötschberg) gekarrt werden,

Von den Segnungen werden, sofern sich diese je einstellen, also erst kommende Generationen profitieren, während bis zur Inbetriebnahme nach dem Jahr 2030 vor allem die Belastungen auf Bau- und Kostenseite durchschlagen.

Kein Selbstläufer

Hinzu kommt, dass Milliardenbahnprojekte keine Selbstläufer sind. Sie stehen und fallen mit der Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene. Die vielbeschworenen Umweltvorteile sind von der Menge des Verkehrs abhängig, die "von anderen, umweltschädlicheren Verkehrsträgern auf die neue Infrastruktur tatsächlich umgelenkt wurde". Hier bewegen sich die Verkehrsverlagerer auf dünnem Eis. "Das Risiko, dass die Verkehrsprognosen zu optimistisch sind", ist laut EU-Rechnungshof beträchtlich, bei grenzüberschreitenden Projekten "unterscheiden sie sich erheblich voneinander", teils in den betrachteten Zeiträumen, Wachstumsraten und Kapazitätsgrenzen, ja sogar in der Methodik. "Angesichts der Tatsache, dass die Verkehrsverlagerung in den letzten 20 Jahren sehr begrenzt war, besteht ein erhebliches Risiko, die positive multimodale Wirkung vieler Flaggschiff-Verkehrsinfrastruktur-Projekte zu überschätzen", warnt der Rechnungshof. (Luise Ungerboeck, 6.7.2020)