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Ein acht Wochen alter Labrador Retriever wäre nach der neuen Regel etwa neun Menschenmonate alt.
Foto: AP/Mary Altaffer

Gemeinhin gilt die Faustregel: Ein Hundejahr entspricht sieben Menschenjahren. Aus biologischer Sicht ist dies freilich Unsinn, darauf haben bereits mehrere Studien in der Vergangenheit hingewiesen. Auch wenn viele Hunderassen im Durchschnitt zehn Jahre alt werden, was rund einem Siebtel der mittleren menschlichen Lebenserwartung entspricht, so laufen die einzelnen Entwicklungsabschnitte eines Hundelebens doch in einem völlig anderem Tempo ab.

Ende vergangenen Jahres hat der Genetiker Trey Ideker und sein Team von der University of California in San Diego am Preprint-Server "bioRxiv" eine neue Formel präsentiert, die die Altersprozesse von Hund und Mensch in ein realistischeres Verhältnis zueinander setzt. Nun haben Ideker und seine Kollegen die Studie im Fachjournal "Cell Systems" veröffentlicht.

Vergleichbarer Lebensstil

Hunde leben in der gleiche Umgebung wie ihre Besitzer und genießen auch annähernd den selben Standard bei der gesundheitlichen Fürsorge. Dieser Umstand bietet Wissenschaftern die einmalige Gelegenheit, das Altern zwischen verschiedenen Arten zu vergleichen. Menschen und Hunde altern nämlich zumindest was die einzelnen Phase betrifft durchaus ähnlich. Sie machen ein Baby- und Kleinkindalter durch, scheinen in der Pubertät alles vergessen zu haben, was sie bis dahin an Benimmregeln gelernt haben, werden als Erwachsene ruhiger und im höheren Alter grau und anfälliger für altersbedingte Krankheiten. Wie sie auf molekularer Ebene altern, ist jedoch komplizierter: Zu Beginn altern sie schnell, später im Leben verlangsamt sich das Entwicklungstempo.

"Was die physiologische Reife betrifft, so könnte ein neunmonatiger Hund schon trächtig werden. Schon hier versagt die Sieben-Jahres-Regel", sagt Ideker. "Das überraschende daran ist, dass diese neun Monate beim Hund einem etwa 30-jährigen Menschen entspricht ." Das bezieht sich freilich auf die körperliche, nicht die geistige Reife.

Die DNA von Mensch und Hund ändert sich im Laufe des Lebens kaum. Was sich aber ändert, sind epigenetische Faktoren und chemische Markierungen auf der DNA, sogenannte Methylierungsmarkierungen. Ideker vergleicht diese Markierungen mit Runzeln im Genom: "Genau so wie Falten, graue Haare und andere Merkmale das Alter eines Menschen verraten können, sind die Markierungen Altershinweise auf molekularer Ebene."

Grafik: Der Altersvergleich zwischen einem Labrador Retriever und Tom Hanks.
Grafik: Ideker et al.

Verräterische Methylierungsmuster

Bei ihren Untersuchungen analysierten die Forscher mit Hilfe von zwei Hundeexperten, Danika Bannasch von der University of California (Davis) und Elaine Ostrander von den National Institutes of Health die Genome von 104 Labrador-Retrievern aller Altersstufen zwischen ein paar Wochen und 16 Jahren. Besonderes Augenmerk legten sie auf die Veränderungen im Methylierungsmuster. Diese verglichen sie mit jenen von Menschen.

Aus dieser Gegenüberstellung ergab sich für die Wissenschafter eine neue Altersformel, die deutlich besser zu den Lebensstadien von Hund und Mensch passt: menschliches Alter = 16 ln (Hundejahre) + 31. In Worten: der natürliche Logarithmus der Hundejahre multipliziert mit 16 plus 31 ergibt das korrespondierende Menschenalter. Hier gibt es einen Hundealter-Rechner, der sich auf Idekers Formel gründet.

Vier Hundejahre sind 53 Menschenjahre

Insgesamt tickt die epigentische Hundeuhr demnach anfangs deutlich schneller als die menschliche. Daher verhält sich ein zweijährige Labrador Retriever teilweise noch wie ein Welpe, nach der auf der Methylierung basierenden Formel entspricht dies aber einem Menschen im reifen Alter. Erst etwas später verlangsamt sich der Alterungsprozess. Basierend auf dieser Berechnungsmethode wäre dann ein acht Wochen alter Hund ungefähr neun Monate alt – in diesem Entwicklungsstadium zeigen sich bei Mensch und Hund die ersten Zähne.

Ein einjähriger Hund wäre altersmäßig nicht mit einem sieben, sondern mit einem 31 Jahre alten Menschen vergleichbar, ein vier Jahre alter Hund mit einem 53 Jahre alten Menschen. Mit neun hätte ein Hund dann das vergleichbare Menschenalter von 66 Jahren erreicht. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Labrador Retrievern von 12 Jahren entspricht damit auch der weltweiten menschlichen Lebenserwartung von 70 Jahren.

Altersumrechnung nach der Ideker-Formel (rot) und der alten 1:7-Faustregel (schwarz).
Grafik: Klaus Taschwer

Sowohl beim Menschen als auch bei Hunden stellten die Wissenschafter fest, dass die altersbedingte Methylierung hauptsächlich in Entwicklungsgenen auftritt, die für die physiologischen Baupläne und die körperlichen Entwicklung während der Kindheit zuständig sind. Wenn man erwachsen wird und nicht mehr weiter wächst, werden diese Gene weitgehend abgeschaltet. "Wenn man sich jedoch die Methylierungsmarkierungen auf diesen Entwicklungsgenen ansehen, wird man feststellen, dass sich diese immer noch verändern", sagt Ideker.

Auch in der Tierarztpraxis hilfreich

Mit dieser auf den Entwicklungsgenen basierenden Methode gelang es den Wissenschaftern eine Art universale Altersuhr zu erstellen, mit der physiologische Entwicklungsphasen über verschiedene Arten hinweg gemessen werden können. Andere methylierungsquantifizierende Methoden funktionieren hingegen nur bei einer Art gut. Ideker geht davon aus, dass zukünftige Untersuchungen an anderen Hunderassen mit unterschiedlicher Lebensdauer mehr Einblick in die neue "Hundealter-Uhr" gewähren könnten. Immerhin sei die neue Formel auf Grundlage der untersuchten Labrador Retriever entstanden. Für andere Hunderassen, die eine niedrigere oder höhere Lebenserwartung haben, könnte die Formel abweichen. Dieses Instrument kann allerdings nicht nur zum Verständnis des Alterns verschiedener Arten beitragen, sondern auch in der klinischen Praxis von Tierärzten der Prävention dienen.

Seinen eigenen Hund sieht Ideker jetzt übrigens mit anderen Augen. "Ich habe eine sechs Jahre alte Hündin. Sie geht noch regelmäßig mit mir joggen – und ich realisiere jetzt, dass sie umgerechnet eigentlich schon auf die 60 zugeht, also doch nicht mehr ganz so jung ist, wie ich dachte." (tberg, 6.7.2020)