Der Unabhängigkeitskampf Westpapuas zählt zu den vergessenen internationalen Konflikten. Seit der Besetzung und Annexion des Westteils der Insel Neuguinea durch Indonesien in den 1960er-Jahren köchelt der Konflikt auf unterschiedlichen Intensitätsstufen, größtenteils ignoriert von den Medien und der internationalen Gemeinschaft.

Seit August 2019 hat die Unabhängigkeitsbewegung wieder Fahrt aufgenommen. Im vergangenen Sommer hatten rassistische Übergriffe auf Westpapuaner in Indonesien Proteste ausgelöst. Westpapuanische Studenten waren in der Stadt Surabaya von einem nationalistischen Mob bedroht und als "Affen" beschimpft worden. Die Polizei jedoch stürmte das Wohnheim der Studenten. In den folgenden Wochen starben dutzende Menschen bei Zusammenstößen zwischen den ethnischen Gruppen und bei Einsätzen der Polizei.

Zivile Opfer

Die indonesische Justiz verfolgt Westpapua-Aktivisten mit großer Härte, schon der Besitz oder das Zeigen der Morgensternflagge, des Symbols eines unabhängigen Westpapua, kann jahrelange Haftstrafen nach sich ziehen. In Westpapua selbst sind indonesische Truppen im Einsatz, um Proteste im Keim zu ersticken. Dabei werden auch Zivilisten Opfer der Kämpfe zwischen dem indonesischen Militär und Widerstandsgruppen. Immer wieder tauchen Berichte über gezielte Tötungen von Zivilisten durch indonesische Soldaten auf. Diese Taten bleiben im Regelfall ungeahndet, im Gegensatz zu Demonstrationen und Protestkundgebungen.

Erneut sieben Aktivisten verurteilt

Erst Mitte Juni wurden wieder sieben Westpapua-Aktivisten von einem Gericht auf Basis des Hochverratsparagrafen verurteilt. Die nach dem Ort ihres Prozesses in Ostkalimantan sogenannten "Balikpapan Sieben" erhielten für ihre Teilnahme an den Protesten im vergangenen Sommer Haftstrafen von bis zu elf Monate. Die Anklage hatte bis zu 17 Jahre Haft verlangt.

Buchtar Tabuni folgte seinem Prozess coronabedingt via Videoschaltung. Er wurde zu elf Monaten Haft verurteilt.
Foto: AFP

Während Andreas Harsono von Human Rights Watch festhielt, dass die Verurteilten für ihre Teilnahme an einer Kundgebung eigentlich keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen hätten sollen, dürften die relativ "milden" Strafen Ausdruck eines beginnenden Umdenkens in Indonesien sein, meint Filep Karma, der wegen des Schwenkens der Morgensternflagge zehn Jahre in Haft verbrachte. Hohe Haftstrafen würden den Druck national und international erhöhen: Während der Ruf Indonesiens weiter Schaden nehmen würde, könnten die Proteste der Papuaner erneut befeuert werden.

In Surabaya auf Java demonstrierten Aktivisten für die Freilassung der "Balikpapan Sieben".
Foto: AFP/Kriswanto

Doch in Zeiten des Hashtag-Aktivismus benötigen politische Anliegen ein entsprechendes Schlagwort, um eine Verankerung in der medialen Berichterstattung oder gar auf den Titelseiten zu schaffen. Im Fahrwasser der Bewegung Black Lives Matter erreicht die westpapuanische Unabhängigkeitsbewegung mit dem Schlagwort "#PapuanLivesMatter" nun wachsende Aufmerksamkeit internationaler Medien.

Schwarze würden durch systemischen Rassismus in den USA von der weißen Mehrheit strukturell benachteiligt, lautet die Black Lives Matter zugrunde liegende These. Zwar sind nicht alle von dieser Bewegung angeführten Beispiele geeignet, institutionellen oder auch individuellen Rassismus zu belegen. Dennoch ist Rassismus in den USA zweifellos gesellschaftlich präsent, auch in staatlichen Institutionen wie der Polizei.

Unterschiedliche Voraussetzungen

Im Westpapua-Konflikt ist die Ausgangssituation im Vergleich zu den USA jedoch eine andere. Die Schwarzen in den USA stammen entweder von in die Sklaverei verschleppten Afrikanern oder später Eingewanderten ab. Die Vereinigten Staaten sind historisch bedingt ein multiethnischer Schmelztiegel.

Indonesien wiederum führt als staatliches Motto Bhinneka Tunggal Ika, "Einigkeit in der Vielfalt", im Staatswappen, doch die multikulturelle Ideologie wird von der Realität nicht abgebildet. Die papuanischen Provinzen sind erst seit knapp sechs Jahrzehnten Teil des indonesischen Staatsverbands. Neben Westpapua ist auch in zahlreichen weiteren Provinzen des Vielvölkerstaats Indonesien das Nationsempfinden nicht sehr intensiv ausgeprägt.

633 Ethnien

633 ethnische Gruppen sind in Indonesien offiziell anerkannt. Manche davon, insbesondere in Westpapua, haben nur wenige hundert Mitglieder. Dem gegenüber stehen über 130 Millionen Javaner und Sundanesen, die weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen. Gegenüber den dunkelhäutigen Ethnien Westpapuas herrschen im Rest des Inselreichs starke rassistische Vorurteile.

In Europa ansässige Menschenrechts- und Entwicklungshilfe-NGOs wie das Westpapua-Netzwerk und die Vereinte Evangelische Mission fordern von Indonesiens Regierung, gegen den Rassismus gegen die Papuaner vorzugehen. Der in Westpapua existierende Rassismus spiegle sich in täglicher Gewalt wider, schreiben die beiden Plattformen in einer Aussendung. Die Kampagne #PapuanLivesMatter setze den Fokus auf den Schutz der Menschenrechte und fordere ein Ende rassistischer Gewalt durch Militär und Polizei.

Der Westpapua-Konflikt belegt jedenfalls, dass Rassismus an verschiedenen Orten in unterschiedlichen Erscheinungsformen abseits eines Schwarz-Weiß-Schemas zutage tritt. Das Schlagwort "#PapuanLivesMatter" benutzen nun jedoch auch Gegner eines unabhängigen Westpapua, um Rebellengruppen als Terroristen zu brandmarken, die die Bevölkerung für ihre Zwecke missbrauchen, und um die Investitionen Indonesiens in der unterentwickelten Provinz zu preisen.

Westpapuas Autonomie Thema im Parlament

Dass Westpapua verstärkt in den Fokus gerät, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass 2021 der in den Bestimmungen der speziellen Autonomie (Otonomi khusus Papua) geregelte Transfer von Geldern für Westpapua endet.

Die Zentralregierung hatte unter der Präsidentschaft von Megawati Sukarnoputri die spezielle Autonomie Westpapuas für zwanzig Jahre gesetzlich geregelt. Nun, kurz vor Ablauf, steht die Autonomie Papuas auf der Prioritätenliste des Repräsentantenhauses in Jakarta. Die Abgeordneten beraten über einen Gesetzesentwurf zur Verlängerung des Autonomiestatus. Dieser sei ohne Einbindung der betroffenen Indigenen erstellt worden, beklagen 16 in der Plattform "Petisi Rakyat Papua" (Petition der Papuaner) zusammengeschlossene papuanische NGOs. Die Gruppen lehnen die Verlängerung der Autonomiebestimmungen ab und fordern ein Referendum der Einwohner Papuas über ihren Status. Im Jänner des Vorjahrs hatte die Vereinigte Befreiungsbewegung für Westpapua der Regierung eine von 1,8 Millionen Papuanern unterzeichnete Petition für die Abhaltung eines Referendums übergeben.

Jokowi verliert vor Gericht

Der Konflikt wird auch verstärkt an der Propagandafront im Internet geführt. Nicht ohne Grund hatte die Zentralregierung während der Proteste im vergangenen Sommer in den Provinzen Papua und Westpapua das Internet sperren lassen, was Präsident Joko Widodo eine Klage einbrachte. Das Verwaltungsgericht in Jakarta entschied Anfang Juni, dass die Sperre illegal war. Zunächst reichten Jokowi und Kommunikationsminister Johnny G. Plate Rekurs ein, zogen diesen jedoch wieder zurück.

Die papuanische Bevölkerung sieht dieser Demonstrant unter den Schuhsohlen des indonesischen Einheitsstaates (NKRI).
Foto: AFP/Kriswanto

Die Regierung ist ohnehin darauf bedacht, die Deutungshoheit über ihre östlichsten Provinzen zu behalten. Aus diesem Grund unterliegen Journalisten, die in Westpapua recherchieren wollen, scharfen Einschränkungen. Eine objektive und neutrale Informationsbeschaffung ist unter diesen Voraussetzungen de facto nicht möglich. Sämtliche Informationen aus Westpapua müssen daher unter diesem Gesichtspunkt doppelt kritisch hinterfragt werden.

Propagandavideo

In dieses Bild passt auch, dass von der Polizei offensichtlich falsche Propagandavideos verbreitet werden. Die Polizei der Provinz Nusa Tenggara Barat veröffentlichte im Juni ein Video, in dem sich ein junger Mann als Bertus aus Wamena in der Provinz Papua vorstellt. Er studiere in der Stadt Mataram auf Lombok in Nusa Tenggara Barat, erklärt Bertus. Er fordert alle Papuaner auf, den Indonesischen Einheitsstaat (Negara Kesatuan Republik Indonesia, NKRI) zu unterstützen. Das Video tauchte wenig später auch auf Youtube auf – mit einem Zusatz, in dem "Bertus" erklärt, er heiße in Wirklichkeit Rian Faot, stamme aus Kupang in der Provinz Nusa Tenggara Timur, studiere jedoch in Mataram. Hier habe die Polizei ihn zu den Aussagen in dem Video gezwungen.

PABI -Taawroli

Model Ziel indonesischer Beschimpfungen

Welch heftige Reaktionen umgekehrt eine Stellungnahme für die Westpapuaner auslösen kann, weiß Neuseelands Miss Universe 2019, Diamond Langi, zu berichten. Das Model mit tongaischer Abstammung musste zuletzt seine Accounts auf sozialen Medien stilllegen, erzählte Langi der Pazifik-Videoplattform thecoconet.tv. Diese waren von Indonesiern mit zehntausenden Postings mit Beschimpfungen bombardiert worden. Langi hatte sich in einem Video für Westpapua eingesetzt, worauf eine Flut von Angriffen einsetzte. Bei der Wahl zur Miss Universe habe sie die Miss Indonesien gebeten, sich bei Indonesiens Präsident Joko Widodo für die Freilassung von sieben Westpapua-Aktivisten einzusetzen, die bei einer Kundgebung gegen Rassismus verhaftet worden waren. (Michael Vosatka, 7.7.2020)