Die Landstraßer Hauptstraße in Wien wurde zum Schauplatz eines Carjackings. Der Angeklagte sagt, er habe aus privaten Gründen dringend nach Linz gemusst.

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Wien – Die Ehrlichkeit des angeklagten Marion W. ist durchaus entwaffnend. "Ich kann mich an den ersten Vorfall überhaupt nicht mehr erinnern. Wird schon stimmen. Ich glaub nicht, dass ein zweiter Depp herumrennt, der so ausschaut wie ich", erklärt er dem Schöffensenat unter Vorsitz von Nicole Rumpl. Der 31-Jährige muss sich wegen Amtsanmaßung und schweren Raubes vor Gericht verantworten: Er soll am 10. Mai in Wien-Landstraße ein Auto gestohlen haben.

Laut Staatsanwalt war der vierfach Vorbestrafte, der erst heurigen Jänner aus jahrelanger Haft entlassen worden ist, dabei erst beim zweiten Versuch erfolgreich. Der erste, an den W. sich angeblich nicht mehr erinnern kann, passierte kurz davor.

Erster Versuch bei Schutzweg

Der Angeklagte stand gegen Mittag auf dem Gehsteig neben einem Schutzweg, als Zeugin Tanja K. verkehrsbedingt anhielt. Die Frau schildert, dass W. ihr gedeutet habe, an den Rand zu fahren, was sie machte. Der Angeklagte näherte sich, sprach dabei in ein Headset und zeigte ihr eine (unechte) Polizeimarke, erinnert sie sich.

Es spricht für die Wiener Exekutive, dass sowohl K. als auch ihr mitfahrender Vater misstrauisch wurden. "Er war sicher nicht er selber. Er wirkte hektisch und panisch. Wenn ich tippen müsste, würde ich sagen, er war auf Drogen", schildert die Zeugin.

Laut W.s eigener Aussage trifft das zu. Er sagt, er habe in fünf Stunden eine Flasche Jägermeister, eine halbe Flasche Schnaps, eine Flasche Wein und fünf bis sechs Bier sowie zehn bis 15 Tabletten in seinen Körper befördert. Allerdings: Bei seiner Festnahme am frühen Nachmittag hatte er 0,8 Promille, um 19 Uhr dann 0,0. "Vielleicht habe ich auch viel früher zu trinken begonnen, ich weiß es nicht mehr", sagt W. dazu.

Rüder Umgangston

Frau K. kam der "Polizist", der ihre Papiere kontrollieren wollte, jedenfalls seltsam vor. Als ihr Vater den Mann nach seiner Dienstnummer fragte und als Antwort "Kumm aussa, wennsd di traust" hörte, war ihr klar, dass dass nicht der übliche Umgangston eines Staatsbediensteten ist. Sie fuhr weiter und alarmierte die richtigen Beamten.

In der Zwischenzeit war ein 30-Jähriger zum Opfer geworden. "Es war Muttertag, und wir waren mit einem Leihauto auf dem Weg zur Mutter meiner Freundin", erzählt dieser Zeuge. Die Freundin habe noch Blumen besorgt, er habe in einer Hauseinfahrt gewartet und Nachrichten auf seinem Mobiltelefon gelesen.

Plötzlich sei W. gekommen, habe ihm die Polizeimarke gezeigt und aufgefordert, auszusteigen. Der Zeuge machte das, dann musste er jedoch die Hände auf das Autodach legen und wurde leibesvisitiert. "Das ist mir seltsam vorgekommen, warum ich in der jetzigen Situation abgetastet werde, wenn wegen Covid jeder Abstand halten soll."

Messer, Holster oder gar nichts

Der Zeuge wollte nochmals den Ausweis sehen, stattdessen habe der Angeklagte ein Messer gezückt und ihn aufgefordert, ihm die Autoschlüssel zu geben. Der Zeuge ist sich sicher, dass W. ein Messer hatte, der bestreitet das. Frau K. und ihr Vater wollen zuvor nur einen Holster gesehen haben.

Das Opfer musste auch noch sein Handy abgeben, durfte dafür aber seine persönlichen Gegenstände von der Rückbank nehmen und zeigte W., der auch bei dieser Gelegenheit deutlich beeinträchtigt wirkte, noch, wie man das Leihauto per Knopfdruck startet. W. beteuert, auch angekündigt zu haben, er werde das Gefährt wieder in der Gegend abstellen, das hat der Zeuge jedoch nicht gehört.

Allzu weit kam der Angeklagte mit dem Wagen nicht – vor allem fuhr er in die falsche Richtung. Vor dem Senat schildert er, dass er eigentlich nach Linz zu einer Ex-Freundin wollte, um eine andere Frau eifersüchtig zu machen. Die Reise endete bei Wöllersdorf auf der Südautobahn mit einem Reifenplatzer.

Falsche Abzweigung

"Da kommt man nicht nach Linz", merkt die Vorsitzende an. "Ehrlich, in meinem Zustand habe ich die Abzweigung verpasst. Ich habe auf der Landstraßer Hauptstraße ein Schild nach Linz gesehen und habe mich gefreut und bin gefahren", beruft sich W. auf seine alkoholische und medikamentöse Beeinträchtigung, auf die auch sein Verteidiger Thomas Müller hinweist.

Dieser führt einen weiteren Punkt an, warum er seinem Mandanten glaube, dass dieser kein Messer dabeigehabt hätte. Denn nach der Panne habe W. einen anderen Automobilisten aufgehalten, dieser habe den Pannendienst angerufen. Der Angeklagte habe seelenruhig gewartet und wohl etwas überrascht festgestellt, dass keine gelben Engel, sondern blau Uniformierte erschienen, die bei der Festnahme keine Waffe fanden.

Beisitzerin Elisabeth Reich und einen Schöffen interessiert noch, woher W. das Polizeiabzeichen hatte. "Das habe ich einmal auf der Straße gefunden und in die Brieftasche gesteckt. Vor 2011 schon", gibt der Angeklagte dazu an. "Ich find nie so was Cooles", bedauert Reich.

Der Senat vertagt schließlich auf unbestimmte Zeit, um durch ein Gutachten feststellen zu lassen, ob W. die Tat möglicherweise im Zustand voller Berauschung begangen habe, was die Strafandrohung deutlich senken würde. (Michael Möseneder, 6.7.2020)