Viele Arbeitsmigrantinnen, die meist als Hausmädchen arbeiten, wurden von ihren Arbeitgebern ohne Lohn auf die Straße gesetzt. Die Caritas betreibt fünf Schutzhäuser für die obdachlosen Frauen.

Foto: Caritas Salzburg

Die Caritas bei der Verteilung von Lebensmittelpaketen. "Es reicht einfach nicht", sagt Generaldirektorin Rita Rhayem.

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In der kleinen Wohnung lebt eine neunköpfige Familie ohne Strom und Wasser.

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Die Corona-Pandemie und die US-Sanktionen, die eigentlich das Assad-Regime in Syrien treffen sollten, haben die humanitäre und wirtschaftliche Situation im Libanon verschärft. Das Land, das eine Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat, befinde sich nun selbst kurz vor dem Bürgerkrieg, warnt Rita Rhayem, die Generaldirektorin der Caritas Libanon, im Gespräch mit dem STANDARD. Die Hälfte der Menschen im Libanon lebt unter der Armutsgrenze. "Der einzige Unterschied zwischen den Flüchtlingen und den Einheimischen ist, dass sie im eigenen Land leben."

Covid-19 sei derzeit nicht das drängendste Problem der Menschen. Es droht eine Hungerkrise. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 40 Prozent. Doch jeden Tag verlieren mehr Menschen ihren Job. Zahlreiche Geschäfte sind geschlossen, die Preise für Lebensmittel explodieren. Supermärkte hätten bereits zugesperrt, weil sie nicht wissen, welche Preise sie verlangen sollen, schildert Rhayem. "Die Menschen im Libanon haben große Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen gezeigt, aber nun stehen sie vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch, Armut und Arbeitslosigkeit."

Schulen und Universitäten geschlossen

Auch das Bildungssystem kollabiert. Zahlreiche Privatschulen seien bereits geschlossen. Viele Familien können sich nicht einmal mehr den Schulbus leisten. Sogar die angesehene amerikanische Universität in Beirut habe 1.500 Mitarbeiter entlassen. "Es eskaliert. Alles ist sehr chaotisch. Die Menschen sprechen schon von der Möglichkeit, dass die Proteste in einem Bürgerkrieg resultieren", sagt Rita Rhayem. Sie erkennt den Libanon nicht wieder: "Es ist, wie über ein anders Land zu sprechen, nicht unseres."

Alleine in den vergangenen zwei Wochen haben sich 40.000 Menschen an die Hilfshotline der Caritas im Libanon gewendet. So auch der Taxifahrer Jalil, der mit seiner Frau und sieben Kindern in einer kleinen Wohnung wohnt. Die Familie ist mit vier Mieten in Verzug und von der Obdachlosigkeit bedroht. Der Vermieter hat Strom und Wasser abgedreht. Die Familie kann nicht duschen, kochen oder putzen. Bei der nächsten Autowaschstation betteln sie um Wasser. Die Kinder haben kaum zu Essen.

Die Caritas betreibt im Libanon insgesamt 36 Anlaufstellen für Sozialberatung. "Auch Anwälte und Ingenieure klopfen bei uns an. Es trifft auch den Mittelstand", sagt Rhayem. Freiwillige der Caritas teilen täglich bis zu 300 warme Mahlzeiten aus, hinzu kommen Lebensmittelspenden an Familien. "Aber es ist einfach nicht genug", sagt die Caritas-Direktorin.

Hausangestellte werden ausgesetzt

Besonders hart trifft die Wirtschaftskrise auch die rund 250.000 Arbeitsmigrantinnen, die vielfach aus Äthiopien oder Bangladesch als Haushaltshilfen ins Land gekommen sind. Durch das sogenannte Kafala-System haben sie keinerlei Rechte. Manche Arbeitgeber behandeln sie wie moderne Sklaven. Viele Frauen werden auch sexuell missbraucht oder geschlagen

Weil viele Arbeitgeber sie wegen der Wirtschaftskrise nicht mehr bezahlen können, wurden viele von ihnen ohne Papiere und Bezahlung auf die Straße gesetzt. Die Caritas Libanon betreibt fünf Schutzhäuser für die betroffenen obdachlosen Frauen und bietet ihnen auch juristische Hilfe an.

Auch die Gesundheitsversorgung ist im Libanon nicht gewährleistet. Für die sechs Millionen Einwohner gebe es nur ein öffentliches Krankenhaus mit Quarantänemöglichkeit, sagt Claudia Prantl von der Caritas-Auslandshilfe in Salzburg. Die arme Bevölkerung könne sich die private Krankenversorgung nicht leisten, und auch Masken und Desinfektionsmittel zur Prävention seien kaum bezahlbar. Die Caritas Salzburg macht nun auf die katastrophale Situation in diesen Regionen aufmerksam und bittet dringend um Spenden.

Fehlende Hygiene in Flüchtlingslagern

Auch in den Flüchtlingslagern, wo noch eine Million Menschen aus Syrien ausharren, ist die Lage verheerend. Neun von zehn Zeltlagern hätten keine sanitären Einrichtungen, fließendes Wasser oder gar Desinfektionsmittel, schildert Prantl die Situation. Hilfsorganisationen hätten zwar Wassertanks aufgestellt, trotzdem teilen sich hunderte Menschen Latrinen.

Der Libanon ist nur eines der Länder, in denen die Corona-Pandemie den Hunger und die Armut verschärft hat. Nach Schätzungen der Uno könnte sich die Zahl der Menschen, die an akuter Unterernährung leiden, von 135 Millionen auf 265 Millionen mehr als verdoppeln. Die Caritas Salzburg unterstützt Projekte in den Schwerpunktländern Libanon, Syrien und Ägypten.

In den vergangenen Monaten konnte dank der Spender vielen Menschen in Österreich, die durch die Corona-Krise in Not geraten sind, geholfen werden, sagt der Salzburger Caritas-Direktor Johannes Dines. Gleichzeitig dürfe nicht auf die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt vergessen werden, deren Lebenssituation sich dramatisch verschärft habe. "Es geht um ein Sowohl-als auch, um weltweiten Zusammenhalt", betont Dines. (Stefanie Ruep, 7.7.2020)