Hans Peter Doskozil sieht sich als Role-Model in der SPÖ, das lässt er die Genossen gern spüren. Statt für eine Arbeitszeitverkürzung zu kampagnisieren, maßregelt der Landeshauptmann immer wieder, sollte die Parteispitze lieber für einen Mindestlohn von 1700 Euro im Monat mobilmachen, wie er diesen selbst für die Landesbediensteten des Burgenlandes durchgesetzt hat. Schließlich habe die Mitgliederbefragung ergeben, dass dieses Vorhaben den Sozialdemokraten wichtiger sei.

Nichts gegen den Einsatz für höhere Mindestlöhne. Doch das Patentrezept für einen Aufschwung ist dieses Projekt nicht. Will die SPÖ kräftig wachsen, darf sie sich nicht auf Kernschichtenprogramme beschränken, sondern braucht breitere Angebote, die für die Mittelschicht attraktiv sind. Der Mindestlohn aber richtet sich ausschließlich an eine klassisch sozialdemokratische Klientel, die noch dazu überschaubar ist. Knapp acht Prozent der Beschäftigten verdienen, auf Vollzeitjobs hochgerechnet, weniger als 1700 Euro brutto im Monat. Mit dieser Wählergruppe allein hätte Bruno Kreisky, auf den sich Doskozil mitunter beruft, die absolute Mehrheit nie erreicht.

Hans Peter Doskozil sieht sich als Role-Model in der SPÖ.
Foto: APA/HANS PUNZ

Soll die Untergrenze bei 1700 Euro netto liegen, wie sie im öffentlichen Dienst des Burgenlandes gilt, wäre der Kreis naturgemäß größer. Doch dann müsste sich die SPÖ vorwerfen lassen, von warmen Eislutschern zu träumen. Die umgerechnet 2450 Euro brutto sind derart weit weg von den derzeitigen Mindestverdiensten, dass sie nur als Fernziel taugen. Eine jähe Einführung per Gesetz, wie sie Doskozil fordert, wäre für so manches Unternehmen schlicht unleistbar – und ein riskanter Tabubruch in der erfolgreichen Praxis der Sozialpartnerschaft.

Kündigungswellen

Es hat sich in Österreich bewährt, dass die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Löhne in Kollektivverträgen aushandeln. Einerseits werden Unternehmen nicht mit zu hohen Steigerungen überfordert, was zum Verlust der Konkurrenzfähigkeit am Markt und zu Kündigungswellen führen würde. Andererseits sind die Löhne im Krisenfall nach unten abgesichert. Bestimmte die Politik, wäre das nicht so: Eine stramm neoliberale Regierung könnte die Mindestlöhne auch wieder senken.

Die Arbeitszeitverkürzung braucht ebenfalls eine für die Unternehmen verträgliche Form (wie sie in der Vergangenheit schon gefunden wurde), ist aber das potenziell massenträchtigere Programm: Quer durch die Gesellschaft gibt es Menschen, für die sich Wohlstandsgewinn nicht immer nur auf dem Lohnzettel abbilden muss, sondern auch in regelmäßigen verlängerten Wochenenden niederschlagen darf. Dazu kommt ein Schub für die Gleichberechtigung. Sind die Männer öfter daheim, bietet sich den heute vielfach auf Teilzeit fixierten Frauen die Chance, mehr zu arbeiten.

Außerdem schließt ein Ziel das andere ja nicht aus. Dass Doskozil einen Gegensatz suggeriert, den es sachlich nicht gibt, nährt den Verdacht, dass es nicht nur um das Anliegen geht – sondern auch darum, sich in Szene zu setzen. (Gerald John, 6.7.2020)