Innsbruck/Wien – Jahrtausende lang führten der Neandertaler und der moderne Mensch in zwischen Europa und Zentralasien eine Koexistenz, die teilweise auch gemeinsam Nachkommen hervorbrachte. Warum die Neandertaler schließlich vor etwa 42.000 Jahre verschwanden, ist bis heute Gegenstand von Diskussionen. Klimaschwankungen, mit denen die Neandertaler auf Dauer nicht zurecht kamen, galten bisher als möglicher Grund dafür. Das konnte nun zumindest für Süditalien ausgeschlossen werden: Im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" berichtet ein Forscherteam mit Innsbrucker Beteiligung von Tropfstein-Analysen, die belegten belegt, dass das Klima dort vor etwa 40.000 Jahren stabil war.

Ein außergewöhnlicher Tropfstein in der Höhle Pozzo Cucù in der Region Apulien liefert Erkenntnisse über das Klima während der Ära, als als moderner Mensch und Neandertaler koexistierten.
Foto: O. Lacarbonara

Neandertaler-Schwund während Kälteperioden

Unter der Fülle von Hypothesen zum Aussterben der Neandertaler wird der rasche Klimawandel während des Übergangs vom Mittel- zum Jungpaläolithikum als einer der wichtigsten Faktoren angesehen. So zeigten etwa vor zwei Jahren deutsche Forscher anhand von Stalagmiten aus zwei rumänischen Höhlen, dass es vor etwa 44.000 und vor 40.000 Jahren extreme Kälteperioden gab und diese mit Zeiträumen zusammenfallen, aus denen keine Neandertaler-Nachweise bekannt sind. Sie schlossen daraus, dass während der Kältephasen – die stets auch mit großer Trockenheit einhergingen – die Neandertaler-Population erheblich zurückging.

Für einen großen Lebensraum der Neandertaler, die Region Apulien in Süditalien, konnten die neuen Erkenntnisse diese Hypothese nicht bestätigen: "Dort herrschten im Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum stabile Klima- und Umweltbedingungen", erklärte Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck. Das fanden die Forscher um den Geologen Andrea Columbu von der Universität Bologna (Italien) mit Hilfe eines etwa 70 Zentimeter langen Stalagmiten heraus, den Columbu in der Höhle Pozzo Cucu südöstlich von Bari gefunden hat.

Einzigartiges Klimaarchiv

Tropfsteine können als Klimaarchiv genutzt werden. Die Stalaktiten und Stalagmiten wachsen über Tausende Jahre in Höhlen, schließen dabei verschiedene Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff oder Uran ein und zeichnen somit die Klima- und Umweltbedingungen sowie deren Veränderungen auf. Mithilfe geochemischer Untersuchungen können die Wissenschafter diese Informationen auslesen.

Zumindest in Süditalien hatten Neandertaler, als sie dort mit modernen Menschen gleichzeitig lebten, nicht mit der Kälte zu kämpfen.
Foto: APA / AFP / Marco Bertorello

Der von Columbu entdeckte Tropfstein wurde vor 106.000 bis 27.000 Jahren abgelagert, ein überaus langer Zeitraum. "Mir ist in Europa kein anderes Beispiel bekannt, wo ein Tropfstein über so einen langen Zeitraum durchgehend gewachsen ist", erklärte Spötl. Der Stalagmit lieferte robuste Klimadaten für diese für die Menschheitsgeschichte interessante Phase.

Andere Faktoren

Während der ersten 50.000 Jahre des Stalagmitwachstums gab es demnach große Klimaschwankungen. Die Daten für den jüngeren Abschnitt des Tropfsteins zeigten aber ein anderes Bild: "Apulien war im Übergang vom Mittel- zum Jungpaläolithikum, als moderne Menschen und Neandertaler gleichzeitig dort lebten, von keinen starken Klimaschwankungen betroffen. Mit anderen Worten: Das Klima spielte in dieser Region keine Schlüsselrolle für das Aussterben der Neandertaler, hier müssen andere Faktoren als Ursache gefunden werden", so Spötl. (red, APA, 11.7.2020)