Bei Strache war es noch Istanbul. Raab bemüht Paris.

Foto: Robert Newald

Zeitweise gab es die Hoffnung, dass es anders kommen könnte. Aber Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat uns in den vergangenen Tagen zu der bitteren Gewissheit verholfen: Auch in diesem Wien-Wahlkampf wird sich alles um "Integration" drehen. Nach den Angriffen der türkischen Nationalisten und Rechtsradikalen auf kurdische Demonstranten und Demonstrantinnen in Favoriten wird wieder das kleine Einmaleins des Populismus ausgepackt: "Parallelgesellschaft", "Integrationsversäumnisse" und natürlich auch der Hinweis, dass die Rot-Grünen in Wien daran schuld sind.

Chicago, Istanbul, Paris

Es ist Vorwahlkampf in Wien. Und so ist es nur zu verständlich, dass der politische Gegner bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Verantwortung gezogen wird. Und die Gelegenheit ist nun wirklich mehr als "aufgelegt". Demonstrationen und Gewalt auf der Straße und ein Konflikt, den man nur allzu gerne und vorschnell als "importiert" etikettieren kann. "Wien darf nicht Paris werden", sagt die Integrationsministerin sogar. Und schon hat man Bilder von brennende Autos in den Vorstädten der französischen Hauptstadt im Kopf.

Mit dem Paris-Vergleich reiht sich Raab vortrefflich in die Wien-Kampagnen der FPÖ ein – Anti-Wien-Kampagnen, muss man wohl sagen. Anfang der 1990er-Jahre hieß es noch "Wien darf nicht Chicago werden". 1991 zum ersten Mal plakatiert, sollte der Spruch suggerieren, dass der Hauptstadt steigende Kriminalität durch vermehrte Zuwanderung droht. Und weil die Kampagne die FPÖ erstmals zur zweitstärksten politischen Kraft in Wien machte, kam der Spruch 1996 nochmals zum Einsatz, diesmal mit dem Zusatz "Wir bleiben dabei".

Und die FPÖ blieb auch ein Jahrzehnt später dabei, unpassende Vergleiche zu machen. 2005, unter der Führung des neuen Parteivorsitzenden Heinz-Christian Strache, hieß es: "Wien darf nicht Istanbul werden." Deutlich platter als in den 1990ern sagten die Blauen nun, was sie nicht wollten: noch mehr mehr Einwanderer in Wien, womöglich sogar noch mehr Türken. Immerhin liefen damals gerade die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Politisches Kleingeld

Chicago, Istanbul und nun auch Paris? Integrationsministerin Raab schaut sich also tatsächlich ihre Argumente von der althergebrachten FPÖ-Strategie ab: flotte Sprüche und Bilder, die Angst oder zumindest Unbehagen erzeugen sollen. Eigentlich keine Überraschung angesichts des Wählerpotenzials rechts der Mitte (groß) und des passenden Angebots (zersplittert) bei der nächsten Wahl in der Hauptstadt. Doch das Thema des multikulturellen Zusammenlebens in einer Großstadt wie Wien sollte für eine kompetente Politikerin, Frauen- und Integrationsministerin wie Susanne Raab, die mit "Integrationsagenden" sehr vertraut ist, nun wirklich keine Gelegenheit für flotte Sprüche und politisches Kleingeld sein.

Wenn man unbedingt "Migration" und "Integration" zum Wahlkampfthema machen will, hätte ich einen Vorschlag: Reden wir darüber, wer in Österreich schlecht bezahlte, anstrengende und besonders in in Corona-Zeiten auch gefährliche Arbeiten verrichtet. Doch das produziert wohl keine knackigen Schlagzeilen. (Olivera Stajić, 7.7.2020)