Wien – Angesichts der aufgeschobenen Entscheidung von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) zu Österreichs Luftraumüberwachung herrscht weiterhin Aufregung: Zu Wochenbeginn begründete ein Schreiben aus dem Verteidigungsministerium den Verzicht auf eine Nachbeschaffung der Saab 105, die mit Ende 2020 keine Starterlaubnis mehr bekommen, unter anderem damit, dass dazu auch "die Kommissionen und Berichte" unter den Ex-Verteidigungsministern Hans Peter Doskozil (SPÖ), Mario Kunasek (FPÖ) und Thomas Starlinger "kein einheitliches Bild abgegeben" hätten. Anders als bei Doskozil und Kunasek sei nur unter Starlinger darauf verwiesen worden, dass die aktive Luftraumüberwachung mit Ausscheiden der Saab 105 "durch Unterschall-Trainingsflugzeuge ergänzt werden" könne.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in der Einsatzzentrale in Sankt Johann im Pongau: Ihre aufgeschobene Entscheidung zur Luftraumüberwachung mit unsachgemäßen Argumenten sorgt weiterhin für Kritik.
Foto: APA / Bundesheer / Pusch

Allein: Im lange unter Verschluss gehaltenen Bericht von Kunasek, der die Eurofighter unter Türkis-Blau als gar nicht so teuer auswies wie unter Doskozil behauptet und der dem STANDARD vorliegt, ist am Ende des Dokuments explizit nachzulesen: "Es wird empfohlen, zunächst die Entscheidung über das Primärsystem zu treffen und darauf basierend die Beschaffung des Trainersystems zu beauftragen."

Dieser Bericht wurde den damaligen türkis-blauen Regierungskoordinatoren, dem heutigen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ), Ende Juni 2018 zur Kenntnis gebracht – doch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte keine Entscheidung treffen, so wie dieser Tage Ministerin Tanner.

Verdrehte Wahrheit

Im Detail hatten die Experten unter Kunasek sechs "Hauptoptionen" (aus mehr als drei Dutzend Varianten) "geclustert", in denen neben den gebotenen Überschallfliegern die Anschaffung von Advanced Jet-Trainern oder Hocheffizienztrainern sehr wohl mitkalkuliert worden ist. In einigen Handlungsoptionen wurde auch einberechnet, dass drei zweisitzige Abfangjäger (also für Ausbildungsflüge geeignet) beschafft werden könnten. Und auch der Bericht von Doskozil sah eine Abfangjägerflotte mit fünfzehn Einsitzern und drei Doppelsitzern an zwei Standorten vor – wegen der Betrugsvorwürfe und des Rechtsstreits mit dem Hersteller Airbus, vormals EADS, wollte der SPÖ-Minister allerdings bloß keine Eurofighter.

FPÖ-Chef Hofer, einst FPÖ-Regierungskoordinator, hielt zu alledem am Dienstag per Aussendung fest: "Ministerin Tanner verdreht hier die Wahrheit." Die von Kunasek eingesetzte Evaluierungskommission habe klar empfohlen, eine Nachbeschaffung für die Saab 105 vorzunehmen. Die ÖVP habe allerdings laufend verzögert – obwohl 2018 bereits alle notwendige Maßnahmen dafür getroffen worden seien.

Kanzlerwille über alles

Mit einer Nachbeschaffung der Saab 105 hätte das Bundesheer die Pilotenausbildung selbst abdecken können, so aber müssten die Piloten zur Ausbildung ins Ausland, kritisiert der FPÖ-Chef – oder erst recht teure Doppelsitzer-Überschallflugzeuge nachgekauft werden. Hofer: "Tanner ist das fleischgewordene Mitteilungsblatt des Bundeskanzleramts und führt das aus, was der Kanzler will: die Rückabwicklung unserer Landesverteidigung."

Und noch ein Minister wies schon Ende 2019 im STANDARD-Interview ausdrücklich darauf hin, was bei der Luftraumüberwachung dringend geboten wäre: Grundsätzlich müsse die Politik klären, hielt Starlinger damals fest, "wie viel Souveränität wir im Luftraum wollen: 24 Stunden am Tag, also rund um die Uhr? Oder reichen uns einige Stunden am Tag – und in der Nacht können die Eurofighter-Piloten halt kein Flugzeug mit fragwürdigem Kurs identifizieren?" Starlinger weiter: "Wenn der neuen Regierung Letzteres reicht, kann man mit fünfzehn Eurofightern die Luftraumüberwachung so zwanzig Jahre weiterbetreiben. Ansonsten braucht es aber ein System von Eurofightern und Advanced Jet-Trainern."

Von einem völlig neuen Abfangjägertyp riet übrigens auch der Expertenminister ab, denn: Das würde zwar ungefähr gleich viel kosten, "da man da aber auch eine völlig neue Infrastruktur für die Flugzeuge benötigt, macht es aus ökonomischer Sicht wenig Sinn, das Risiko eines Umstiegs auf eine neue Flotte einzugehen".

Größtes Problem des Bundesheeres

Auch Doskozil, mittlerweile Landeshauptmann im Burgenland, übte angesichts der aufgeschobenen Entscheidungen zur Luftraumüberwachung heftige Kritik an Ressortchefin Tanner. Mittlerweile sei aus seiner Sicht "das größte Problem des Bundesheers die Frau Minister", sagte er in der ZiB2 am Montagabend.

Tanner selbst wies auch am Dienstag die Kritik an ihren Plänen für die Land- und Luftstreitkräfte als "parteipolitische Angriffe" zurück. "Ich halte an meinem Weg fest", erklärte sie via Ö1-Mittagsjournal.

Die konkrete Frage, wie die Luftraumüberwachung nach Ausscheiden der Saab 105 im kommenden Jahr genau bewerkstelligt werden soll, ließ Tanner offen: "Die Luftraumüberwachung ist bis 2021 gesichert", bekräftigte sie erneut. Ob man danach weiter auf die gerichtliche Klärung des Rechtsstreits mit Airbus warte? "Auf keinen Fall warten", so Tanner, "alle Rechtsmittel ausschöpfen, das muss die oberste Priorität sein."

Keine 25 Wochen mehr gesichert

SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer hält Tanners jüngste Angaben und Aussagen zur Luftraumüberwachung für "entlarvend" – konkret, dass sie die Luftraumüberwachung "keine 25 Wochen mehr für gesichert ansieht". Er habe "überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Verteidigungsministerin jetzt die rot-blaue "Opposition attackiert" und mit Aufschub ihres Entscheids ihre Verantwortung einfach abwälzen wolle.

Neos-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos forderte Tanner auf, endlich einen Plan B vorzulegen, denn: "Erstens kann sie nicht sagen, wie die Luftraumüberwachung mit desolaten und nachtblinden Flugzeugen bis 2021 sichergestellt werden soll. Und zweitens ist 2021 bereits in einem halben Jahr." Die ÖVP habe wahrlich lange genug wertvolle Zeit mit Nichtstun vergeudet – und dass Airbus im nächsten halben Jahr vor Tanner in die Knie gehen und den Kauf rückabwickeln werde, glaubt Hoyos nicht.

Peschorn weiterhin zuversichtlich

Der Chef der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, hingegen hat die Hoffnung auf Entschädigung oder gar Rückabwicklung des Eurofighter-Kaufvertrags nicht aufgegeben – er rechnet bis Mitte 2021 mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Beschwerden der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und der Republik gegen die Einstellung des Verfahrens zu der 2017 eingebrachten Betrugsanzeige gegen den Flugzeughersteller Airbus.

Die Aussagen der Ministerin zur Luftraumüberwachung habe er jedenfalls dahingehend verstanden, dass Tanner nun unter Einbindung aller Parlamentsparteien die Grundlagen für die zukünftige Sicherstellung konzipieren und festlegen wolle. Durch die vorherige Einbindung aller Parteien würde man als Lehre aus den Streitigkeiten rund um die Beschaffung des Eurofighter für die höchste Transparenz bei einer Typenentscheidung sorgen. (Nina Weißensteiner, 7.7.2020)