Polizeiaufgebot vor dem Ernst-Kirchweger-Haus anlässlich einer Demonstration Ende Juni.

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FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl kritisierte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in der Aktuellen Stunde zu den Ausschreitungen in Favoriten scharf.

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Die Angriffe türkischer Nationalisten auf kurdische und linke Vereine Ende Juni in Wien-Favoriten werden derzeit auf mehreren Ebenen aufgearbeitet. Zum einen beschäftigen sich die Sicherheitsbehörden mit den Vorfällen. Der Verfassungsschutz ermittelt gemeinsam mit Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern in einer Sonderkommission, ob und welcher Einfluss aus der Türkei auf die Organisation der Angriffe ausgeübt wurde.

Zum anderen findet eine politische Aufarbeitung statt. Die Diskussion dazu wird von den Parteien unter unterschiedlichen Vorzeichen geführt: ÖVP und FPÖ diskutieren die Causa in erster Linie unter dem Stichwort Integration, SPÖ und Grüne sprechen vor allem von einem Problem mit Rechtsextremismus und Faschismus.

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl eröffnete die Aktuelle Stunde.
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In einer von der FPÖ zum Thema initiierten Aktuellen Stunde im Nationalrat lieferte sich diese ein Wortgefecht mit der ÖVP in puncto Verantwortung für die Situation: FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl identifizierte als primär Schuldige die ÖVP, die im Bereich Integration und Asyl ein "Totalversagen" zu verantworten habe. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) solle "weniger bellen und mehr beißen", riet der blaue Klubchef seinem Nachfolger im Innenministerium

Dieser versicherte wiederum, dass "jeder Gewalttäter und jeder, der gegen das Symbolgesetz verstoßen hat", zur Rechenschaft gezogen werde. Das betreffe auch jene, die glauben, dass ein Mund-Nasen-Schutz auch vor Verfolgung schütze. An die Türkei richtete der Innenminister die Botschaft, dass jedes Land, das versuche, hierzulande Unruhe zu stiften, die "volle Konsequenz der Republik Österreich" kennenlernen werde.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) reagierte auf die Fragen der Abgeordneten.
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Die ÖVP griff auch wieder die Wiener Stadtregierung an. VP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer ortete ein "massives Integrationsproblem" in Wien. Jörg Leichtfried, Vize-Klubchef der SPÖ, wies die Angriffe stellvertretend für die Stadtregierung zurück: "Beschweren Sie sich doch bei ihm", erinnerte er daran, dass die ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz früher selbst für die Integrationsagenden zuständig gewesen seien.

Ähnliches war aus dem Büro von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zu hören: Man frage sich, was die Integrationsministerin abseits vom Aufzeigen angeblicher Probleme konkret unternehme, um die Integration voranzutreiben, sagte ein Sprecher zum STANDARD. Ohnehin gehe es im Falle der Ausschreitungen nicht um Integration, sondern um eine Sicherheitsdebatte.

Jörg Leichtfried von der SPÖ
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Bündnis für "antifaschistische Solidarität" gegründet

Politisch aufgearbeitet werden die Vorfälle auch an anderer Stelle: Das Bündnis Antifaschistische Solidarität, dem sich neben kurdischen und linken türkischen Vereinen auch der KZ-Verband und die Offensive gegen Rechts – der wiederum verschiedene rote Jugendorganisationen wie die Sozialistische Jugend angehören– angeschlossen haben, forderte eine ehrliche Auseinandersetzung mit der "aggressiven Diasporapolitik" der Türkei, wie Sprecher Mamo Mirzani betonte.

Faika El-Nagashi von den Grünen
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Die seitens der Bundesregierung erfolgte Zurückweisung der Äußerungen des türkischen Botschafters, es habe sich bei den angegriffenen Demonstranten um Terrorsympathisanten gehandelt, sei "zu begrüßen" gewesen, sagte Mirzani.

Doch kein Krisentreffen

Von der Idee eines Krisentreffens im Bundeskanzleramt zwischen kurdischen, linken und Türkei-nahen Vereinen ist man unterdessen wieder abgekommen. Laut Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) sei nach Gesprächen klar geworden, dass die Fronten "derart verhärtet" seien, dass keine gemeinsame Sitzung möglich sei. Man wolle die Vereine nun einzeln treffen. "Wenn Vereine hier das Gespräch verweigern, werden wir sie umso mehr in die Pflicht nehmen. Sie werden in Kürze Rede und Antwort stehen müssen und von uns noch einmal klar darauf hingewiesen, dass jede Form von Extremismus, ob im Untergrund oder auf offener Straße ausgelebt, nicht zu tolerieren ist. Wir werden hier harte und klare Gespräch führen, insbesondere mit den türkischen Vereinen", kündigten die beiden Minister an.

Eingeladen waren unter anderem die AKP-nahe UID (ehm. UETD) und die Türkische Föderation, die unter Experten als die politische Heimat der Grauen Wölfe gilt.

Zuvor zeigten sich Linke und Kurden wenig begeistert davon, mit der Türkischen Föderation an einem Tisch zu sitzen. "Wir sind offen dafür, mit Ämtern und Behörden zu sprechen", sagt Nurcan Güleryüz, Co-Vorsitzende des kurdischen Dachverbands Feykom, zum STANDARD. Aber mit Vereinen wie der Türkischen Föderation habe man nichts zu besprechen. "Mit Rechtsextremen wollen wir nicht am Tisch sitzen", sagte auch Bündnissprecher Mirzani.

Demonstration am Freitag

Jetzt gelte es abzuwarten, welche Hintermänner und Verstrickungen bei den polizeilichen Ermittlungen zutage treten. Diesbezüglich könne man aus ermittlungstaktischen Gründen noch keine Auskunft geben, hieß es seitens der Landespolizeidirektion Wien zum STANDARD. Die Ermittlungen würden aber jedenfalls "auf Hochtouren" laufen.

Unterdessen hat das Bündnis für kommenden Freitag eine neuerliche Demonstration gegen Faschismus und Gewalt an Frauen angekündigt, die laut den Organisatoren auch von den autonomen Frauenhäusern unterstützt wird. Bei der ersten Kundgebung, die in der vorletzten Woche von türkischen Nationalisten angegriffen wurde, handelte es sich um eine Frauenkundgebung. Darüber, wie groß das Polizeiaufgebot diesmal sein werde, war noch keine Auskunft zu erlangen. Eine Anzeige für eine entsprechende Demonstration liege noch nicht vor. (Vanessa Gaigg, 7.7.2020)