In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Die Black Lives Matter-Bewegung bringt nicht nur weltweit Millionen Menschen auf die Straße. Sie stößt auch historische Debatten an, etwa in dem Statuen von Sklavenhaltern gestürzt werden. Die Ökonomie ist nicht das Erste, woran man denkt, wenn es um Black Lives Matter geht. In ihr haben noch immer zu einem Gutteil weiße Männer das Sagen. Zur Debatte trägt sie trotzdem bei. In jüngster Zeit veröffentlichte Studien zeigen nämlich, wie heftig die ökonomischen Narben von Kolonialismus und Sklaverei noch heute sichtbar sind.

Die Belgier richteten im Kongo viel Leid an. Patrice Lumumba, der erste Präsident nach der Unabhängigkeit, wurde nur ein Jahr nach Amtsübernahme ermordet.
Foto: AFP / ARSENE MPIANA

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Afrika ist der mit Abstand ärmste Kontinent der Welt. Vor allem südlich der Sahara ist die Armut hoch – mit wenigen Ausnahmen wie Botswana oder Mauritius. Welchen Anteil der Westen daran hat, ist eine Frage, über die Historikerinnen und Ökonomen seit hunderten von Jahren diskutieren. Dabei geht es vor allem um Sklaverei und Kolonialismus. Letzterer hat kürzer gedauert, dominiert aber in den Erklärungen. Eine geht so:

Über Armut und Reichtum eines Landes entscheiden vor allem die Institutionen, also die Regeln für das Zusammenleben. Formell sind das etwa Gesetze, aber genauso wichtig sind informelle Regeln wie soziale Normen, also die Frage, was sich (nicht) gebietet. In manchen Regionen sorgen diese Institutionen dafür, dass Wohlstand entsteht, in anderen Korruption und Misswirtschaft. Die Wissenschafter Daron Acemoğlu und James Robinson sagen, dass die Kolonialisten in vielen Ländern "schlechte" Institutionen dagelassen haben.

Gute Regeln entstehen ihrer Lesart zufolge nämlich dadurch, dass politische Macht in einem Land ausgeglichen ist. Der Kolonialismus hatte in Afrika oder Lateinamerika aber genau das Gegenteil von Gleichheit zum Ziel. Er schuf Strukturen, mit denen die weiße Minderheit die schwarze Mehrheit ausbeuten konnte. Das hängt vielen Ländern noch heute nach.

Sklaverei ging viel länger

Der Kolonialismus in Afrika hielt aber nur etwa 70 Jahre. Die maßgeblich von Europäern gesteuerte Sklaverei hingegen 500. Der Harvard-Ökonom Nathan Nunn sah die Sklaverei deshalb in der ökonomischen Forschung als stiefmütterlich behandelt – und legte zuletzt eine Reihe einflussreicher Studien dazu vor. Dafür vergrub er sich in Verzeichnissen, in der die Zahl der verschifften Sklaven aus bestimmten Gebieten notiert war. Nunn wollte wissen: Wirkt die Sklaverei bis heute nach?

Das Ergebnis war eindeutig: Ja! Je mehr Sklaven aus einem Gebiet exportiert wurden, desto schlechter ist die ökonomische Entwicklung heute. Das könnte aber auch daran liegen, dass Regionen, aus den Sklaven verschifft wurden, schon früher ärmer waren. Aber die Forschung von Nunn zeigt, das wohl sogar das Gegenteil der Fall war. Reichere Gebiete waren stärker am Handel mit Sklavinnen und Sklaven beteiligt. Aber wie kann das bis 2020 nachwirken?

Aus keinem Land Afrikas wurden zwischen 1400 und 1900 mehr Sklavinnen und Sklaven weggebracht als aus Angola: 3,6 Millionen Menschen, wird geschätzt. Noch heute gilt die Hälfte der Bevölkerung des ölreichen Landes als extrem arm.
Foto: APA/AFP/JOAO DE FATIMA

Am überzeugendsten ist die Erklärung, dass die Sklaverei viele interne Konflikte auslöste. Völker und Dörfer begannen, sich gegenseitig zu bekriegen, die Verlierer wurden versklavt und an die Europäer verkauft. Dörfer, die vorher miteinander kooperierten, verfeindeten sich. Das behinderte die Entwicklung größerer politischer Einheiten. Das könnte, so Nunn, auch eine Erklärung für die "Fraktionalisierung" in Afrika sein. Damit ist gemeint, dass nicht einige wenige große Kultur- und Sprachräume entstanden, sondern viele, oft sehr kleine.

Die Sklaverei trug auch dazu bei, dass bereits bestehende, größere Einheiten zerfallen sind, etwa das Jolof-Königreich im heutigen Senegal, das die Portugiesen mit zerstört haben. Die Sklaverei sorgte auch dafür, dass bestehende Rechtssysteme ausgehebelt wurden. So wurden Menschen fälschlicherweise Verbrechen beschuldigt, um mehr Sklaven verkaufen zu können. Nicht mitzumachen war in vielen Regionen keine Option, denn verfeindete Dörfer erwarben durch den Handel unter anderem Gewehre von Europäern – um sich verteidigen zu können, musste man also auch Sklaven verkaufen.

Eine Kultur des Misstrauens

In einer anderen Studie hat Nunn mit Leonard Wantchekon zusammengearbeitet, einem der wenigen schwarzen Ökonomen in den USA. Laut dem Radiosender NPR sind von etwa 9.000 Ökonominnen und Ökonomen in den USA gerade einmal 20 schwarz. Wantchekon forscht an der renommierten Princeton-Uni, er will aber auch in seinem Heimatland, in Benin in Westafrika, die African School of Economics aufbauen. Die meiste Forschung über Sklaverei und Kolonialismus wird nämlich noch immer in den USA und Europa betrieben.

Wantchekon hat in der Studie gezeigt, dass Ethnien, die in der Vergangenheit stärker vom Sklavenhandel betroffen waren, noch heute weniger Vertrauen in andere Menschen haben. Denn es wurden nicht nur andere Völker bekriegt, auch Freunde und Verwandte wurden gekidnappt, ausgetrickst und als Sklavinnen und Sklaven verkauft. Die Hypothese von Wantchekon und Nunn ist, dass dadurch eine Kultur des Misstrauens entstand. Andere Studien deuten darauf hin, wie wichtig Vertrauen in andere Menschen für die Entwicklung eines Landes ist.

Entwicklung wurde noch schwieriger

Für einfache Erklärungen, warum manche Länder arm und andere reich sind, eignet sich die Sklaverei aber trotzdem nicht. Die Gebiete, die heute die Länder Ruanda, Namibia oder Dschibuti bilden, waren nicht in den Sklavenhandel einbezogen. Alle drei sind trotzdem sehr arm. Genauso wenig waren aber die zwei afrikanischen Länder betroffen, die in der Vergangenheit die imposanteste Entwicklung hinlegten, Botswana und Mauritius. So viel lässt sich also sagen: Die Sklaverei hat aus einer ohnehin schwierigen Ausgangslage eine bedeutend schlechtere gemacht. Vom menschlichen Leid ist da noch gar nicht die Rede.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 12.7.2020)