Die Gelder seien für aussondernde Projekte verwendet worden, so der Vorwurf.

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Brüssel/Linz – Der Vorwurf wiegt schwer und ist womöglich nur die Spitze des Eisberges: 7,5 Millionen Euro soll Oberösterreichs Landesregierung aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) zum Neubau von Werkstätten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung verwendet haben. Das haben die NGOs Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ) und das Europäische Netzwerk für Selbstbestimmtes Leben (ENIL) in Brüssel recherchiert. Auch in Niederösterreich und Tirol soll Ähnliches passiert sein, vermuten die Organisationen.

In Oberösterreich, wo man die Beweise bereits gesammelt hat, wollen SLIÖ und ENIL nun juristisch gegen diese Verwendung von EU-Geldern vorgehen. Vergangene Woche wurde daher eine formelle Beschwerde gegen die Landesregierung bei der EU-Kommission eingereicht. Konkret sollen sechs aussondernde Wohneinrichtungen und zwei Werkstätten mit den EU-Mitteln kofinanziert worden sein. Das verstoße klar gegen die Behindertenrechtskonvention der Uno, die Österreich ratifiziert hat, sowie gegen die Grundrechtscharta und das Antidiskriminierungsgesetz der EU.

Gesetzwidrige Verwendung von EU-Mitteln

Wie Bernadette Feuerstein, Vorsitzende von SLIÖ, erklärt, dürften öffentliche Gelder nicht gesetzwidrig verwendet werden. Da die kritisierten Projekten aber allesamt Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung seien, dienten sie nicht dem Zweck der Inklusion, sondern eben der Aussonderung. In Österreich leben immer noch rund 70 Prozent aller Menschen mit Behinderung in derartigen Einrichtungen, die sie von der Gesellschaft förmlich abschotten. Dabei fordern Selbstvertretungsorganisationen seit Jahrzehnten eine Abkehr von dieser Praxis in Richtung einer größeren Selbstbestimmung.

"Durch ein solches Vorgehen werden diese Zustände und die Aussonderung aber zementiert", sagt Feuerstein. Die Gelder wären besser eingesetzt, würde man sie für einen Ausbau der persönlichen Assistenz nutzen, so die SLIÖ-Vorsitzende. Das würde gerade im ländlichen Raum Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeit bieten, um ihr Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung wahrzunehmen.

Mit der Beschwerde wollen die NGOs die EU-Kommission dazu bringen, gegen Oberösterreichs Landesregierung vorzugehen, etwa in Form eines Vertragsverletzungsverfahrens. (Steffen Arora, 8.7.2020)