Ein Monat ohne Nachrichten und ohne klassische Medien: Ein dänischer Medienberater und Medienanalyst machte den Selbstversuch. Was hat er gelernt? Große Ereignisse bekam er noch mit – aber nicht als Nachricht, sondern als Aufregung vor allem von Medienleuten auf Twitter und anderen sozialen Medien. Er hat wenig verpasst, das ihm nach dem Monat noch relevant erschien. Und er hatte bessere Laune, vor allem in der Früh.

Granitskulptur, gesehen und fotografiert in Meran 2016. Sachdienliche Hinweise über den oder die (leider nicht notierte und nicht gefundene) Künstler/in bitte ins Forum!
Foto: Harald Fidler

Der Testverweigerer

Der selbstständige dänische Medienberater heißt Thomas Baekdal, er gibt ein kostenpflichtiges Onlinemagazin über Medienentwicklungen heraus und hat seine Erfahrungen mit einem Monat News-Verzicht für die European Broadcasting Union dokumentiert (Download kostenlos hier, PDF-Link).

Ein Drittel Verweigerer: die Ausgangslage

Mehr als ein Drittel der 2000 befragten Österreicherinnen und Österreicher erklärte laut Digital News Report 2019, die Themen der Medien hätten keine Relevanz für sie. International geben in der Studie, die Menschen in rund 40 Ländern befragt, rund drei Prozent an, sie hätten im Monat vor der Befragung keinerlei Nachrichten konsumiert. Rund ein Drittel sagte 2019 im internationalen Schnitt, dass sie Nachrichten häufig ausweichen. Der Brexit war in Großbritannien ein häufig gemiedenes Thema – Rupert Murdochs Sky News startete eine Brexit-freie Version seines Programms. Häufige Begründung für Nachrichtenvermeidung: News trübten die Stimmung, sie vermittelten ein Gefühl der Ohnmacht – und Zweifel am Wahrheitsgehalt.

Der Selbstversuch

Baekdal begann zunächst, seiner eigenen News-Müdigkeit nach der US-Wahl 2016 mit Filtern auf Twitter und anderen Social Media zu begegnen. Er blockierte etwa Tweets über Trump und viele Themen der US-Politik, um der Flut von News zu immer demselben Thema zu begegnen.

Im März 2019 dann wollte er versuchen, eine Woche ohne aktuelle Medien auszukommen, auch nicht über Twitter oder Facebook. Um herauszufinden, ob er was verpasst hatte, ließ er sich automatisch Screenshots von den Titelseiten größerer Zeitungen abspeichern.

"In der ersten Woche habe ich aber nichts über Nachrichtenmüdigkeit gelernt. Ich habe nur gelernt, dass ich nachrichtensüchtig war." Soll heißen: von der Früh weg und in freien Minuten, etwa während Telefonaten, ein schneller Klick und Blick auf die eine oder andere News-Seite. Also beschloss er, aus der Woche einen Monat ohne News zu machen.

Woche zwei schildert Baekdal als geprägt von "Fomo" – "Fear of missing out", also Angst, etwas zu verpassen. Auch wenn sich die Abstinenz nicht wirklich auf seine Arbeit niedergeschlagen habe (und der Mann ist Medienanalyst!).

Danach habe sich "Joy of missing out" eingestellt: Baekdal fühlte sich nach eigenen Angaben weniger gestresst, weniger grantig. Keine morgendliche Lektüre und keine damit verbundene Emotion hätten ihn nun von seinen Vorhaben für den Tag abgelenkt.

Empörung statt Nachrichten

Der März 2019 war nicht arm an Ereignissen: Notre-Dame brannte, der Mueller-Report zu Präsident Trump erschien, es gab Terrorattacken, und das erste Bild eines Schwarzen Lochs wurde veröffentlicht. Baekdal hat das alles mitbekommen – von Wissenschaftern auf Twitter etwa die Astro-Sensation. Und auch die übrigen Großereignisse – aber nicht als Nachrichten, sondern als Empörung von Journalisten auf Twitter. "Ich habe so nur die Themen mitbekommen, die die größte Empörung ausgelöst haben. Du bekommst dann keine tatsächlich nützlichen News mit, und man bekommt die News auch nicht als Nachrichten."

Wenig bleibende Relevanz

Baekdal schaute sich nach dem Monat News-Abstinenz die gespeicherten Titelseiten großer Tageszeitungen durch. Er wollte, schreibt er, notieren, welche Themen ihm nach der Zeit noch relevant erschienen. Das Blatt aber sei leer geblieben. Ein Kreuzfahrtschiff mit Maschinenschaden in einem schlimmen Sturm beschäftigte alle dänischen Zeitungen in der Zeit ausführlich. "Nach einem Monat fühlte sich das nicht relevant an", schreibt Baekdal zu diesem Beispiel: "Das war nur ein Unglück wie viele andere." Auch "fünf, sechs Skandale" in der Politik schienen ihm nach einigen Tagen irrelevant. Er schreibt hier von "Wegwerfnachrichten". Er fühlte sich erschöpft von der vielen (hier geballt konsumierten) Aufregung in den Blättern – und führt auch darauf sein Gefühl von Irrelevanz zurück.

Was schließt der Mann aus seinem Selbstversuch?

Baekdal schreibt, er habe seinen Medienkonsum nach dem Experiment umgestellt: Von permanenten News-Snacks zu ausführlicheren News-Mahlzeiten, vielleicht zweimal am Tag. In der Früh liest er nach eigenem Bekunden keine Nachrichten mehr. Das sei "das Disruptivste, was ich tun konnte: den Tag empört zu beginnen, weil die meisten Nachrichten so negativ sind". Viele Themen gäben ihm ein Gefühl der Ohnmacht.

Medienmacher sollten darauf achten, wie sie die Zeit ihrer Userinnen und User beanspruchen und was sie ihnen bringen. "Und wir sollten weit weniger darüber nachdenken, wie wir die meisten Page-Views bekommen." Nachrichtenmüdigkeit treffe auf Werberückgänge für klassische Medien. Abo- und andere Bezahlmodelle rückten in den Fokus.

Achten sollten sie nach Baekdals Befund auch darauf, wann sie ihr Publikum womit konfrontieren, vor allem in der Früh. Das wäre aus seiner Sicht eine Zeit für weniger negative Inhalte, für Themen, die ihnen Gestaltungsmöglichkeiten vermitteln, und mehr Nützliches, um gut in den Tag zu kommen.

Fort von Facebook

Facebook ist aus Baekdals Sicht kein Platz für Nachrichten klassischer Medien: "Facebook ist ein Raum voller Lärm, in dem du ununterbrochen tausendfach angeschrien wirst." Schon diese Lautstärke verstärke Nachrichtenmüdigkeit.

"Facebook ist wunderbar für lustige Posts unter Freunden, aber es ist ein furchtbarer Ort für News." Medien müssten abseits dieses Lärms konzentrierte, wertvolle News-Erlebnisse schaffen, die Menschen gezielt ansteuern, um sich zu informieren, schreibt der dänische Medienberater. Das schaffe Nähe zur eigenen Community und Vertrauen. (fid, 8.7.2020)