365 Tage gratis Öffi fahren wünschen sich die Grünen für Wien.

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Die grüne Spitze für die Wien-Wahl: Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (2. v. l.), Peter Kraus (2. v. r.), Judith Pühringer und David Ellensohn.

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Wien – Der Koalitionspartner SPÖ weiß zwar noch nichts von einer Einigung. Dennoch sprechen die Wiener Grünen davon so, als sei es längst beschlossene Sache: "Wir führen die 35-Stunden-Woche für alle Beschäftigten der Stadt Wien ein", heißt es klipp und klar in einem Statement, das am Mittwoch bei einer Pressekonferenz der grünen Stadtspitze verteilt wurde. Tatsächlich handelt es sich um ein umfassendes und teures Forderungspaket, mit dem die Grünen in den Wahlkampf für die Wien-Wahl am 11. Oktober gehen. Vorgestellt wurde es von den ersten vier Personen der grünen Liste: Birgit Hebein, Peter Kraus, Judith Pühringer und David Ellensohn.

Kernpunkt neben der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche für städtische Bedienstete ist ein kostenloses Öffi-Ticket für ein Jahr. Darauf sollen alle Wienerinnen und Wiener mit Hauptwohnsitz in der Stadt Anspruch haben. Jahreskartenbesitzern soll ihr Ticket kostenlos um ein Jahr verlängert werden. Vizebürgermeisterin Hebein argumentiert damit, dass die Grünen mit ihren Forderungen Klimaschutz mit Beschäftigungsmaßnahmen verbinden würden. Die durch die Corona-Krise schwer gebeutelte Wirtschaft dürfe nicht einfach nur wiederaufgebaut werden. "Sonst rasen wir vollgas sehenden Auges auf den Klimakollaps zu", meinte Hebein.

Gratis-Öffi-Ticket würde Wien 400 Millionen kosten

Das kostenlose Öffi-Ticket würde Wiener entlasten, den Konsum stärken und gleichzeitig einen Anreiz schaffen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, betonen die Grünen. Sie verweisen dabei auf Estlands Hauptstadt Tallinn oder auf Luxemburg, wo es kostenlose Öffis gebe.

"Wir hören in der Stadt oft, was alles nicht geht", sagte Klubchef Ellensohn. "Für Klein-Klein haben wir keine Zeit." Die Kosten für diesen Vorschlag gab Hebein mit 400 Millionen Euro an. Nach einem Jahr soll zudem evaluiert werden, ob die Aktion auch fortgesetzt werden kann.

Vor dem Wahlkampf 2010 hatten die Grünen – damals noch als Oppositionspartei – eine Öffi-Jahreskarte um 100 Euro und ein Tagesticket um einen Euro propagiert. Geworden ist es 2012 unter der ersten rot-grünen Stadtregierung dann ein Kompromiss mit einem 365-Euro-Jahresticket. Zuvor hatte ein Vollpreisticket 449 Euro gekostet. Aktuell gibt es 852.000 Jahreskartenbesitzer, vor der Reform waren es 363.000.

350 Millionen Euro Kosten für Beschäftigungspaket

Die ebenfalls geforderte 35-Stunden-Woche für 65.000 Beschäftigte der Stadt Wien würde de facto eine Lohnerhöhung für diese Mitarbeiter bedeuten, sagte die grüne Quereinsteigerin Pühringer. Profitieren würden vor allem Frauen, sie machen 64 Prozent der städtischen Beschäftigten aus. Zudem könnten 7.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Hier sollen junge Jobeinsteiger und ältere Beschäftigte bevorzugt werden. Hebein rechnet bei diesem Paket mit zusätzlichen Kosten von 350 Millionen Euro pro Jahr. Der grüne Planungssprecher Kraus will zudem mehr Geld in Gebäudesanierung, Fernwärmeausbau und erneuerbare Energie stecken.

Akkordiert sind diese Ideen mit der SPÖ nicht. Dabei sind die Roten aktuell für die Bereiche Öffis (mit Stadträtin Ulli Sima) und Personal (mit Stadtrat Jürgen Czernohorszky) zuständig. Der Frage, ob die Forderungen künftig Koalitionsbedingung seien, wich Hebein aus. "Diese Frage stellt sich jetzt nicht", meinte sie. Laut Ellensohn entscheidet sich am 11. Oktober, ob es mit Rot-Grün vorwärts gehe – "oder mit Rot-Schwarz eine Geisterfahrt zurück".

Sima sieht unrealistischen Wahlkampfgag

Der grüne Vorstoß erwischte den sichtlich verärgerten Koalitionspartner SPÖ auf dem falschen Fuß. Stadträtin Sima nannte das kostenlose Öffi-Ticket einen "Wahlkampfgag" und unrealistisch. Neben dem Einnahmenentfall sei auch ein erwartbarer massiver Fahrgastanstieg ein Problem. Zusätzlich notwendige Fahrzeuge würden Milliarden kosten. Der Vergleich mit Luxemburg, wo es kostenlose Öffis gibt, hinke: Dort gibt es 31 Buslinien, in Wien sind es aktuell 129 Buslinien, 28 Straßenbahnlinien und fünf U-Bahn-Linien, meinte Sima.

Als Gegenvorschlag meinte die SPÖ-Stadträtin, dass die für die ÖBB zuständige grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler zunächst einmal die S-Bahnen in Wien kostenlos betreiben könne.

SPÖ verweist bei 35-Stunden-Woche auf Sozialpartner

Beim Vorstoß zur 35-Stunden-Woche verwies man im Büro von Stadtrat Czernohorszky auf den "sehr hohen Stellenwert" der Sozialpartnerschaft. "In dieser Tradition werden personalpolitische Zielsetzungen gemeinsam und solidarisch diskutiert. Dazu gehört auch die Frage der Arbeitszeit, die immer wieder Teil sozialpartnerschaftlicher Gespräche ist." Eine Einigung in dieser Frage gibt es demnach noch nicht. Für eine 35-Stunden-Woche in Österreich hatten sich zuvor schon Gewerkschaften, aber auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ausgesprochen. (David Krutzler, 8.7.2020)