Die Maske ist zum Feindbild geworden. In den sozialen Netzwerken wird gegen sie organisiert Stimmung gemacht.

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"Maulkorb", "Virenschleuder" und "Geldmacherei": Wer diese Tage im Netz unterwegs ist und einen Blick auf die Kommentarspalten unter Artikeln zur Maskenpflicht wirft, bekommt ein eindeutiges Stimmungsbild serviert. In zahlreichen Postings wird gegen die Gesichtsmaske gewettert und werden Boykotte angekündigt. Der Mund-Nasen-Schutz würde ohnehin nur alles verschlimmern, so das Fazit etlicher Kommentatoren.

System hinter der Meinungsmache

Bei der Einführung der Maskenpflicht schlug dem Stofffetzen nicht ein derartiger Gegenwind entgegen. Offenbar hat dies auch einen Hintergrund, wie der WDR aufdeckt: Demnach steckt System hinter der Meinungsmache. In geschlossenen Gruppen auf Telegram und Facebook sprechen sich User nämlich ab, um so das Stimmungsbild zu verzerren und gegen die Maske mobilzumachen.

Posting nach Manipulation gelöscht

Beim WDR wurde auf diesem Wege eine Facebook-Abstimmung manipuliert. Der Sender wollte wissen, ob seine Fans nun für oder gegen die Maskenpflicht sind. Offenbar wurde die Umfrage in besagten Gruppen massiv geteilt, wodurch sich ein eindeutiges Bild ergab: 68 Prozent sprachen sich gegen die Maske aus und nur 32 Prozent dafür. Der WDR entschied sich aufgrund der Manipulation dazu, das Posting zu löschen.

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Gut vernetzte Kritiker der Maßnahmen

Kritiker der Corona-Maßnahmen und Verschwörungstheoretiker sind zumeist gut vernetzt. In geschlossenen Gruppen werden Artikel diskutiert und Gegenmaßnahmen besprochen. Berichte aus dubiosen Quellen dienen meist dazu, sich in der eigenen Meinung zu bestärken und Experten zu diskreditieren. Der Virologe Christian Drosten, Tech-Milliardär Bill Gates und "der Mainstream" sind das Feindbild in dieser Online-Ansammlung.

Fake-News viel zu spät als solche deklariert

Facebook agierte bislang sehr schleißig, wenn es um Falschmeldungen und Verschwörungstheorien ging. Berichte mit falschen Tatsachen werden verspätet mit einem Warnhinweis versehen – laut einer SWR-Recherche dauert es Tage, bis vor einem vielfach geteilten Artikel gewarnt wird. 22 Tage können da durchaus verstreichen. Eine weitere Studie zeigte allerdings, dass dies durchaus hilfreich sein kann. So ging der Glaube an Desinformation dank derartiger Hinweise drastisch zurück.

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Zehntausende in geschlossenen Gruppen

Bei geschlossenen Facebook- beziehungsweise Telegram-Gruppen sind die Betreiber allerdings hilflos. Dort heizen sich User gegenseitig mit teils irren Meldungen auf. So kursiert aktuell ein Bild eines vermeintlichen WDR-Redakteurs, der behauptet, dass er nun falsche Corona-Zahlen melden müsse, damit der zweite Lockdown in Deutschland kommt. Die Reaktionen sprechen ein eindeutiges Bild: Anstatt das Foto zu hinterfragen, fühlen sich die Nutzer in ihrem Weltbild bestätigt, das auf Social Media weiterhin zur Schau gestellt wird.

Kaum Moderation bei Telegram

Telegram hat sich in den vergangenen Monaten immer mehr zu einem Hort für Verschwörungstheoretiker entwickelt. Das liegt auch daran, dass solche Gruppierungen auf anderen Plattformen nicht geduldet werden. Anders als Twitter, Facebook und andere (teil)öffentliche soziale Netzwerke verzichtet Telegram auf eine Moderation und löscht Inhalte nur selten. Erst nach massivem öffentlichem Druck etwa sperrte der Dienst 2015 und 2016 Konten, die dem "Islamischen Staat" (IS) zugeordnet werden konnten.

Im Vergleich dazu beschäftigen Facebook und andere Social-Media-Giganten weltweit tausende Content-Moderatoren, die rechtswidrige Inhalte entfernen – wobei selbst diese in der Vergangenheit immer wieder in Kritik geraten sind, da die Teams immer noch zu klein sind und problematische Inhalte stehen blieben. Telegram versteht sich selbst hingegen eigentlich als Messenger wie etwa Whatsapp – selbst wenn eine Gruppe tausende Nutzer hat. Entsprechend müssen Verschwörungstheoretiker selten eine Sperre befürchten, egal wie absurd ihre Inhalte sein mögen.

Rechtsdurchsetzung schwierig

Für Telegram gilt, wie für andere soziale Plattformen, die E-Commerce-Richtlinie, wie der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó gegenüber dem STANDARD erläutert. Somit sind sie wohl für ihre Inhalte verantwortlich. Jedoch müssen Behörden das Unternehmen erst verfolgen können: "Telegram ist wohl einigermaßen bemüht, den Unternehmenssitz undurchschaubar zu machen." Der Dienst hat seinen Sitz mehrfach geändert, um einer Rechtsdurchsetzung zu entfliehen. Die Entwickler befinden sich mittlerweile nach Eigenangaben in Dubai.

Hinter der Plattform steckt der russische Unternehmer Pawel Durow, der zuvor Russlands beliebtestes soziales Medium, vk.com, begründete. Nach Druck durch die russische Regierung, die eine stärkere Regulierung der Plattform forcierte, verließ er 2014 das Unternehmen und widmet sich seitdem Telegram. In Russland ist der Dienst nach einer kurzen Blockade wieder online. Das Unternehmen hatte sich geweigert, private Chats für die russische Regierung zu entschlüsseln. (Daniel Koller, Muzayen Al-Youssef, 8.7.2020)