Linke wurden von türkischen Nationalisten angegriffen.

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Zumindest einer der beiden runden Tische, die die Regierung zum Thema Favoriten für diese Woche angekündigt hatte, fand am Mittwoch statt. Integrationsministerium, Integrationsfonds sowie Innenministerium und Verfassungsschutz diskutierten über die jüngsten Ausschreitungen. Jenes Treffen zwischen Türkei-nahen und kurdischen sowie linken Vereinen, das für kommenden Freitag angesagt war, findet nun – wie berichtet – doch nicht statt.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) verkündete einmal mehr, dass Parallelgesellschaften unter die Lupe genommen werden sollen. So soll ein "Frühwarnsystem" entwickelt werden, das anhand bestimmter Parameter vorzeitig über Gefahr, die von etwaigen Brennpunkten ausgehe, informieren solle. Die konkrete Ausgestaltung blieb allerdings offen.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gab hingegen einen kurzen Einblick in die polizeilichen Ermittlungen der eigens eingerichteten Sonderkommission: So gebe es Anhaltspunkte, dass der türkische Geheimdienst bei den Ausschreitungen involviert gewesen sei – zumindest was Dokumentationszwecke betreffe. Der Verfassungsschutz habe vor Ort professionelle Teams wahrgenommen, die ihre Kameras ausschließlich auf kurdische und linke Aktivisten gerichtet hätten. Zudem sei es zu "militärisch organisierten Störaktionen" gekommen: Angreifer hätten wiederholt an verschiedenen Orten Tumult erzeugt, um Polizeikräfte dorthin abzuziehen. Währenddessen sollen dann andere die Kundgebungen angegriffen haben. Betont wurde erneut, dass man ausländische Einflüsse nicht dulden werde. Am Freitag werden konkrete Ermittlungsergebnisse präsentiert.

Dokustelle zu Islam ab Juli

Als weiterer Schritt wurde angekündigt, dass das 27 Organisationen umfassende "Bundesweite Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung" nun doch nicht erst im Oktober zusammentreten soll. Wann genau, blieb noch offen. Erneut wurde bekräftigt, dass die Dokumentationsstelle für politischen Islam noch im Juli ihre Arbeit aufnehmen soll. Ercan Nik Nafs, Leiter der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien, welche Mitglied im Extremismuspräventionsnetzwerk ist, betont, dass man eine Definition des "politischen Islams" brauche, damit klar sei, womit sich die Stelle auseinandersetzen soll. "Wir müssen festlegen: Wo liegen die Gefährdungen für die demokratische Gesellschaft?", sagt Nik Nafs zum STANDARD. Zudem brauche es auch einen zusätzlichen Schwerpunkt zu Rechtsextremismus: entweder indem das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands gestärkt werde oder indem die geplante Stelle ausgebaut werde. Eines sei zentral: "Wenn wir diese Gruppen bekämpfen wollen, dann brauchen wir eine Strategie gegen Antisemitismus", sagt Nik Nafs.

Gesucht: Eine Frau als Leiterin

Die Ministerin will, dass die Dokumentationsstelle von einer Frau geführt wird. Sie habe "viele Frauen mit toller Expertise in diesem Bereich". Diese Ausführung lässt die Expertenszene ratlos zurück. "Viele" heimische Wissenschafterinnen, die sich in den vergangenen Jahren mit dem politischen Islam und islamistischen Strukturen in Österreich auseinandergesetzt haben, wollen befragten Auskennern nicht einfallen. Genannt werden unabhängig von der Stelle etwa die Extremismusexpertin Julia Ebner, die in London forscht, aber eher zu Rechtsextremismus arbeitet, oder Daniela Pisoiu vom österreichischen Institut für Internationale Politik, die etwa mit inhaftierten IS-Anhängern sprach.

So mancher Experte glaubt, dass die Politikwissenschafterin Nina Scholz eine Chance hätte. Sie schrieb mit dem Historiker Heiko Heinisch einige Publikationen über den Islam. Zuletzt erschien Alles für Allah: Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert. In Kolumnen und Gastkommentaren erachtet sie die Ausweitung des Kopftuchverbots auf die Pflichtschule als sinnvoll und problematisiert islamistische Verbindungen.

Im STANDARD bezeichnete die Politikwissenschafterin Scholz in einem Gastkommentar eine solche Dokumentationsstelle als "dringend notwendig". Diese solle politisch unabhängig sein und von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet werden. Gefragt wurde Scholz aber noch nicht. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 8.7.2020)