Wien – Sofie rennt. Mitten hinein in eine gelb-braune Steppenlandschaft, unendliche Weite. Sofie rennt, stolpert vielmehr, blickt immer wieder zurück, ob die Verfolger schon in Sichtweite sind. Sie wirkt wie ein ängstliches Tier, das ihren Jägern zu entkommen versucht. Sofie weiß, dass sie keine Chance hat.

Vom Menschsein ist die junge Frau in der Anfangsszene von Stateless schon ziemlich weit entfernt. Sofie hat mehrere Wochen in einem australischen Internierungslager hinter sich, wo sie gefangen gehalten und wie Vieh behandelt wurde. Als sich die Gelegenheit zum Ausbruch bietet, nimmt sie sie wahr.

Zehn Monate Lager

Dass sie als australische Staatsbürgerin überhaupt dort gelandet ist, ist ein Irrtum und die auf Tatsachen beruhende Ausgangssituation von Stateless. Die sechsteilige Serie lief zunächst im US-TV auf ABC, hierzulande ist sie auf Netflix abrufbar.

Yvonne Strahovski spielt die Hauptrolle in "Stateless"
Foto: Hulu / Netflix

2004 saß die deutschstämmige Cornelia Rau für zehn Monate in einem australischen Anhaltelager fest. Ihre Geschichte ging durch alle Medien. Die damals 39-jährige Flugbegleiterin war von Sydney aus in den tropischen Norden Australiens gereist. Ureinwohner wurden auf Rau aufmerksam und meldeten sie bei der Polizei. Rau hatte offenbar falsche Papiere bei sich und gab sich als deutsche Bürgerin aus. Das führte zum Verdacht, sie halte sich illegal in Australien auf.

Wieso die falschen Papiere? Die von der australischen Schauspielerin Cate Blanchett entworfene und produzierte Serie greift Raus Biografie auf, wonach deren psychische Probleme und letztlich auch die Flucht in Zusammenhang mit einem Missbrauch durch eine sektenartige Gemeinschaft in Verbindung standen.

Sektengurus Cate Blanchett und Dominic West.
Foto: Hulu / Netflix

Die Zustände in den australischen Anhaltelagern wurden nicht zuletzt aufgrund Raus Fall publik und führten zu einer Untersuchung der Regierung über das katastrophale Einwanderungssystem des Landes.

Wie es dort zuging, zeigt die Serie anhand weiterer Erzählstränge. Da ist zunächst die Geschichte des Afghanen Ameer (Fayssal Bazzi), der mit seiner Familie von Pakistan aus mit dem Boot fliehen will, von Schleppern um sein gesamtes Erspartes betrogen wird und im Internierungslager landet.

Der Afghane Ameer landet mit seiner Tochter in einem Internierungslager.
Foto: Hulu / Netflix

Druck der Regierung

Dort wird er betreut von Cam (Jai Courtney), einem anfangs glücklichen Familienvater. Um sein Einkommen aufzubessern, heuert er im Lager an und gerät in einen schweren Gewissenskonflikt angesichts der Gewalt, die er zu sehen bekommt. Seine Familie droht daran zu zerbrechen. Geführt wird das Gefängnis von Claire (Asher Keddie), die zwischen Ehrgeiz und Empathie entscheiden und dem Druck der Regierung standhalten muss.

Cam gerät als Wärter in einen Gewissenskonflikt.
Foto: Hulu / Netflix

Das ist schwerer Tobak, den Yvonne Strahovski (The Handmaid’s Tale) in der Rolle der Sofie nur schwer hebt. Blanchett selbst übernimmt die Rolle der Sektiererin mit sicherem Gespür für eisig- esoterisches Gehabe, Dominic West (The Wire, The Affair) kann den schleimigen Guru. Weitaus bedrückender ist das Setting des Internierungslagers, das zeigt, wie ein System, das Ordnung verspricht, pure Gewalt hervorruft.

Sofies Weg erinnert an jenen der Piper Kirman aus Orange Is The New Black von Netflix. Strahovski macht als scheinbar deplatzierte Blondine aus gutem Hause ihre Mitgefangenen sichtbar. Eine Rolle, die auch Kirman in der Serie spielte. In Orange Is The New Black sah man, dass Besserung im Gefängnis nahezu unmöglich ist. Im australischen Internierungslager von Stateless geht es um das nackte Überleben. Und da ist jeder irgendwann nur mehr sich selbst der Nächste. (Doris Priesching, 9.7.2020)