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Kadyrow sieht eine "voreingenommenen Informationsmaschine" bei der Berichterstattung über den Mordfall in Gerasdorf.

Foto: REUTERS/Christopher Pike

Grosny / Gerasdorf bei Wien – Nach tagelangem Schweigen hat der tschetschenische Regionalpräsident Ramsan Kadyrow in der Nacht auf Donnerstag eine verklausulierte Stellungnahme zur Ermordung des gebürtigen Tschetschenen Martin B. alias "Ansor aus Wien" veröffentlicht. Er beklagte darin eine Instrumentalisierung tschetschenischer Exilblogger durch westliche Geheimdienste, die gegen Russland und ihn arbeiten würden. Derweil bestätigte eine Obduktion einen Kopfschuss als Todesursache des Kadyrow-Kritikers. B. sei aber auch mehrfach am Oberkörper getroffen worden.

"Ich habe gewartet und beobachtet, wie sich die Gerüchte rund um die Ereignisse in Wien entwickeln. In der Folge habe ich mich noch einmal von einer voreingenommenen Informationsmaschine überzeugen können. Sie hat die These einer Beteiligung von mir verbreitet, ohne dass es offizielle Erklärungen der (österreichischen, Anm.) Ermittlungsorgane geben würde", schrieb Kadyrow zur Tat auf Russisch in dem Onlinedienst Telegram.

"Manipulationsmethoden" des Westens

"Ansor aus Wien", der im Februar in Frankreich ermordete Blogger "Alter Mansur" und andere Blogger, die mit Pseudopatriotismus Geld verdienten, seien Opfer von gegen Russland sowie gegen ihn agierenden Geheimdiensten geworden. Letzteren missfalle, dass "er und seine treue Mannschaft" die Kaukasusgrenze Russlands schützten. Er habe bereits oft von den Manipulationsmethoden des Westens erzählt. Diese "Marionetten" würden ihr Leben genau so beenden. "Sobald sich Menschenrechtsaktivisten 'Sorgen' um ein konkretes Menschenleben machen, geht dieses Leben bald zu Ende", erläuterte Kadyrow.

Auch der Kreml teilte mit, nicht an eine Verwicklung des tschetschenischen Regionalpräsidenten zu glauben. Es sei unlogisch, den Mord Kadyrow anzulasten, sagte Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass am Donnerstag. "Das hat nichts mit Logik zu tun. Der ermordete österreichische Staatsbürger und Ramsan Kadyrow? Wenn er Kadyrow kritisiert hat, und wenn es ein tschetschenischer Bürger wäre, dann müsste es Kadyrow sein. Sind Sie auch der Meinung, dass das nicht logisch ist?", sagte Peskow.

Immer wieder Morde

Der populäre tschetschenische Videoblogger Tumso Abdurachmanow, der im Februar in Schweden einen Anschlag überlebt hat, fordert nach der Bluttat in Gerasdorf eine entschiedene europäische Reaktion gegen Russland. Am 18. Mai habe er den am Samstag ermordeten Martin B. vor einem konkreten Mordkomplott gewarnt, erzählte Abdurachmanow am Mittwochabend in einen Telefonat mit der APA.

Anfang Februar war der gebürtige Tschetschene Imran Alijew, der unter dem Pseudonym Alter Mansur Kadyrow in Youtube-Videos wüst beschimpft hatte, im nordfranzösischen Lille einem Messerattentat zum Opfer gefallen. Wenige Monate später starb nun in Österreich der ebenso aus Tschetschenien stammende Martin B., der unter dem Namen Ansor aus Wien Kadyrow zuvor monatelang ebenso im Internet kritisiert hatte. Bereits im vergangenen August war der georgische Staatsbürger Selimchan Changoschwili, der einer tschetschenischen Minderheit Georgiens angehörte und gegen Russland gekämpft hatte, in Berlin von Schüssen niedergestreckt worden. Alle diese Morde verbinde, dass auf die eine oder andere Weise Russland dahinterstecke, erklärte der im schwedischen Exil lebende Abdurachmanow.

Von westlichen "Mördern gerettet"

Kadyrow jedenfalls droht weiter. Er verwies auf eine tschetschenische Tradition, wonach man für Gesagtes zur Verantwortung gezogen werde. Doch aufgrund eines "Paradoxons" sei es dazu gar nicht gekommen: "Bevor diese Hunde in Schande für jedes Wort zur Verantwortung gezogen werden können, werden sie von Mördern gerettet, die von (westlichen, Anm.) Geheimdiensten bezahlt werden", formulierte er und spielte damit sichtlich auf Martin B. und seine traditionswidrigen Beschimpfungen, etwa von Kadyrows Mutter, an.

Abschließend warnte der Politiker "vernünftige Menschen" davor, sich in Geheimdienstprojekten als "Verbrauchsmaterial" verwenden zu lassen. "Werdet keine Marionetten, kümmert euch um eure Familien. Sonst erwartet auch euch ebenso dieses Schicksal. Beschuldigen wird man dann erneut Kadyrow und seine Mannschaft." (APA, 9.7.2020)