Pfuschen hat in Österreich Tradition, dementsprechend gilt es in der Bevölkerung auch als Kavaliersdelikt. Sich ohne Rechnung zu einigen gewann während der Krise wieder an Beliebtheit.

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Wien – Es zählt zu den offenen Geheimnissen der Bau- und Handwerksbranche, dass es oftmals zwei unterschiedliche Kostenvoranschläge gibt: jenen mit Rechnung und jenen, bei dem die Rechnung ohne das Finanzamt gemacht wird. Die "schwarze" Variante spielt sowohl Auftraggebern als auch -nehmern in die Hände. Beiden bleibt mehr. Eine Win-win-Situation, bei der es mit Staat und Sozialversicherungsträger dennoch einen Verlierer gibt, da hier die Einnahmen abgehen.

Der Ökonom Friedrich Schneider von der JKU in Linz erwartet wegen der Corona-bedingten Rezession einen Anstieg der Schwarzarbeit, wie es ihn seit 20 Jahren nicht gab. "Die Schattenwirtschaft dient als Puffer für sonst noch wesentlich höhere Einkommensverluste." Das sei in jeder Rezession so.

Schneider sieht die Verliererposition des Staates jedoch gespalten. "Kaum jemand pfuscht für das Sparbuch. Mehr als zwei Drittel des Geldes werden unmittelbar wieder ausgegeben." Somit fließe ein beträchtlicher Teil über die Mehrwertsteuer doch wieder in die Kasse des Fiskus.

Jeder Zehnte ein Pfuscher

Die Finanzpolizei verzeichnete besonders in den ersten drei Wochen nach dem Lockdown Mitte März einen exorbitanten Anstieg der Schwarzarbeit. "Jeder zehnte Mitarbeiter war schwarz beschäftigt. Üblicherweise fehlen bei jedem hundertsten die Anmeldung und die Versicherung", sagte ein Sprecher des Finanzamts dem STANDARD. Das habe vor allem das Bau- sowie das Baunebengewerbe, Zulieferbetriebe und Reinigungsfirmen betroffen.

Von den überprüften Arbeitnehmern aus dem Ausland waren rund zehn Prozent von Unterentlohnung betroffen, und wegen fehlender Melde- oder Lohnunterlagen sind insgesamt 2.099 Strafanträge gestellt worden, hieß es Ende Juni in einer Aussendung des Finanzamts.

Anstieg um 1,8 Milliarden Euro erwartet

Bei einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent geht Ökonom Schneider von einem erpfuschten Volumen von 24,69 Milliarden Euro aus. Das entspricht einem Zuwachs von 1,8 Milliarden Euro bzw. 7,86 Prozent gegenüber dem Erwarteten. Höher notierte dieser Wert zuletzt im Jahr 2000 mit 8,79 Prozent. In seiner Berechnung vom Jänner erwartete Schneider noch einen Rückgang des Pfuschvolumens von 24 auf 22,89 Milliarden Euro.

Corona hat die Karten neu gemischt. Außerdem revidierte die EU-Kommission in ihrer Prognose Anfang der Woche die Erwartungen für Österreich auf ein Minus von mehr als sieben Prozent. Grund ist der mangelnde Konsum.

Pfusch als Wohlstandstreiber

Während des Lockdowns befanden sich mehr als eine Million Menschen in Kurzarbeit, Hunderttausende weitere verloren ihren Job gänzlich. Was ihnen blieb, ist Zeit. Viele pfuschen demnach selbst öfter oder lassen vermehrt im Pfusch arbeiten. "Der Pfusch erhöht den Wohlstand in Österreich", meint Schneider. Ohne Schwarzarbeit gäbe es jedes zweite Einfamilienhaus in Oberösterreich nicht, niemand könne es sich leisten, alles offiziell mit einer Firma zu machen.

Für das Grobe engagiert der klassische Häuslbauer gern den Professionisten. Bei einem Dachstuhl, der Elektrik oder den Wasserleitungen will man auf die Gewährleistungspflichten des Unternehmers nicht verzichten. Bei kleineren Mühseligkeiten wie dem Verlegen des Estrichs oder dem Ausmalen sieht die Situation gleich ganz anders aus.

Genaue Zahlen, wie sich die Pfuscherei in den jeweiligen Branchen entwickelt hat, kündigt der Wissenschafter für den Herbst an. Dafür brauche es noch den Sommer, um "die Arbeit geschehen zu lassen". Federführend seien jedoch die üblichen Branchen wie Bau, Handwerk, Reparaturen, Tourismus und Dienstleistungen.

Kavaliersdelikt

Dass Pfuschen hierzulande einfach dazugehört, bringt das Blut der Österreicher nicht in Wallung. Für rund 60 Prozent der Bevölkerung galt Schwarzarbeit im Vorjahr als Kavaliersdelikt. In Anbetracht der Krise dürfte dieser Anteil heuer noch ein bisschen höher sein, vermutet Schneider. Im Vergleich: Schnellfahren stößt nur bei 30 Prozent auf Nachsicht.

Auch gefühlt nimmt die Pfuscherei zu. Eine Befragung des Linzer Market-Instituts von 1016 über 16-jährigen Österreichern zeigt, dass man hierzulande von einem wesentlichen Anstieg der Schwarzarbeit ausgeht. Dabei gaben 44 Prozent an, dass die Schwarzarbeit während der Pandemie deutlich oder zumindest etwas mehr geworden sei. 41 Prozent meinten, sie sei in etwa gleich geblieben, lediglich fünf Prozent gingen davon aus, dass sie deutlich zurückgegangen sei. (Andreas Danzer, 9.7.2020)