Ist's eine Schlange, ein Regenwurm, ein gestrandeter Aal? Weit gefehlt, es ist eine Ringelwühle – eine entfernte Cousine von Laubfrosch und Feuersalamander.
Foto: Carlos Jared

Zwei Erscheinungsformen von Amphibien kennt wirklich jeder: eine krabbelnde mit langgestrecktem Körper und langem Schwanz, also Molche und Salamander. Und eine hüpfende mit gestauchtem Körper ohne Schwanz, genannt Frösche und Kröten (wobei diese beiden Begriffe relativ beliebig über die Froschlurche verteilt sind und nicht wirklich die Verwandtschaftsverhältnisse widerspiegeln).

Es gibt aber noch eine dritte Variante, die wiederum anders gebaut und vergleichsweise unbekannt ist: Blindwühlen oder Schleichenlurche (Gymnophiona) sehen wie Schlangen oder Würmer aus – je nachdem, ob ihre Haut glatt oder segmentiert ist und wie groß sie werden. Das Spektrum reicht von wenigen Zentimetern bis zu eineinhalb Metern. Dass sie hierzulande kaum jemand kennt, liegt daran, dass sie nur in den Tropen vorkommen und dort vor allem unzugängliche Lebensräume bewohnen: Einige Arten haben sich aufs Schwimmen spezialisiert, die meisten aber graben sich durch den Boden von Wäldern.

Flüssigkeiten für jeden Zweck

In Kontrast zum Rest der Amphibienverwandtschaft sind Blindwühlen vollständig beinlos. Auch ihre Augen sind stark zurückgebildet. Bei der Jagd – Blindwühlen sind durchwegs Fleischfresser – verlassen sie sich vor allem auf ihren Geruchssinn, der durch zwei kleine Tentakel zwischen Augen und Nasenlöchern verstärkt werden dürfte.

Mitunter kann sich so eine ganze kriechende Nahrungskette ergeben: vorneweg ein Regenwurm, in Slow Motion "gehetzt" von einer Blindwühle, der wiederum eine Schlange hinterhergräbt. Allerdings braucht es dafür ausgemachte Spezialisten wie etwa Walzenschlangen. Blindwühlen sondern aus der Haut nämlich ein Sekret ab, das giftig oder zumindest abschreckend wirkt und sie für die meisten Räuber unattraktiv macht.

Das ist aber bei weitem nicht ihr einziger Trick, Blindwühlen sind geradezu Virtuosen der Körpersäfte. Während das Gift am hinteren Teil des Körpers produziert wird und ihnen somit Rückendeckung gegen Verfolger gibt, sondern sie vorne einen Schleim ab, der wie ein Gleitmittel wirkt und ihnen das Graben erleichtert. Zumindest bei einer Art hat man zudem festgestellt, dass die Mutter eine milchartige Flüssigkeit ausscheidet, um ihre Jungen zu füttern. (Andere Blindwühlenmütter setzen auf eine Methode mit höherem Verschleißfaktor: Sie lassen sich von ihren Kindern gleich die Haut vom Leib fressen.)

Der Blindwühlenkopf in Großaufnahme. Die Haut wurde teilweise entfernt, um die Drüsen nahe den Zähnen zu zeigen.
Foto: Carlos Jared

Haben sich Blindwühlen schon bisher als lebende Brauereien präsentiert, so ist es ihnen nun gelungen, Biologen ein weiteres Mal zu verblüffen. Ein Team brasilianischer und US-amerikanischer Forscher berichtet im Magazin "iScience", dass es bei der südamerikanischen Ringelwühle (Siphonops annulatus) Anzeichen eines zusätzlichen Giftapparats an den Zähnen gefunden hat. Während Giftdrüsen in der Haut bei Amphibien generell ein weit verbreiteter Schutzmechanismus sind, wäre dies der erste Fall eines Amphibiums mit Giftzähnen. Diese seltsamsten aller Amphibien sind offenbar noch ein Stück schlangenähnlicher als gedacht.

Konkret fanden die Forscher um Pedro Luiz Mailho-Fontana vom Instituto Butantan in São Paulo Reihen von Drüsen in Ober- und Unterkiefer, die über lange Kanäle mit der Basis jedes Zahns verbunden sind. Die Flüssigkeit darin wurde noch nicht vollständig analysiert, sie enthält den ersten Untersuchungen zufolge aber hohe Konzentrationen von Phospholipase A2 – Enzymen, die man aus den Giften einer Vielzahl von Reptilien, Insekten und Weichtieren kennt. Die Forscher vermuten, dass die Ringelwühle die Drüsen beim Zubeißen entleert, um ihre Beute außer Gefecht zu setzen oder zumindest langsamer zu machen – immerhin sind Blindwühlen nicht auf rasante Verfolgungsjagden angelegt.

Die mutmaßlichen Giftdrüsen in Großaufnahme (bis zur exakten Analyse ihres Inhalts gilt die Unschuldsvermutung).
Foto: Carlos Jared

Dieser Giftapparat hat nichts mit den üblichen Giftdrüsen in der Haut zu tun. Die Forscher analysierten die embryonale Entwicklung der Tiere und konnten dabei feststellen, dass sich die Drüsen in der Haut aus der Epidermis heraus entwickeln, die neuentdeckten im Maul hingegen nicht. Die bilden sich aus dem Zahngewebe – analog dazu, wie es bei Schlangen geschieht.

Diese Parallele ist erstaunlich, die Forscher weisen aber auch darauf hin, dass es Unterschiede im Detail gibt: Während Schlangen nur wenige Giftdrüsen haben, in denen aber dafür eine große Flüssigkeitsmenge produziert wird, sind es bei den Ringelwühlen viele kleine Drüsen mit wenig Inhalt. Ihre löffelförmigen Zähne haben auch keine spezialisierten Injektionswaffen wie die Giftzähne von Schlangen hervorgebracht. Es scheint sich also um eine primitivere Form eines Giftapparats zu handeln, sagt Mailho-Fontanas Kollege Carlos Jared.

Zurück in der Zeit

Wo der evolutionäre Ursprung dieses Giftapparats liegt, bleibt vorerst noch ein Rätsel. Schlangen ohne Beine gibt es erst seit etwa 100 Millionen Jahren, Blindwühlen hingegen dürften etwa 250 Millionen Jahre auf dem schleimigen Buckel haben. Sucht man den letzten gemeinsamen Vorfahren beider Gruppen, muss man noch sehr viel weiter in der Zeit zurückgehen. Es ist unklar, ob es in der grauen Vorzeit der Landwirbeltiere eine grundsätzliche evolutionäre Veranlagung zur Ausbildung eines solchen Giftapparats gab oder ob er zweimal gänzlich unabhängig voneinander entstanden ist.

Zumindest dürfte es laut den Forschern kein Zufall sein, dass just zwei Gruppen beinloser Tiere dieses Merkmal hervorgebracht haben. Wenn Gliedmaßen fehlen und der Kopf zum wichtigsten Werkzeug wird, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich hier Mutationen durchsetzen, die hilfreiche Zusatzfeatures hervorbringen.

Und weitere unerwartete Entdeckungen in der Zukunft sind nicht ausgeschlossen. Immerhin gehören Blindwühlen zu den am wenigsten erforschten Wirbeltieren überhaupt, wie Jared betont: "Ihre Biologie ist eine Black Box voller Überraschungen." (jdo, 9. 7. 2020)