Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow regiert die russische Teilrepublik mit eiserner Hand.

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Antonia Rauth: [00:00:16] Der tschetschenische Videoblogger Mamuchan U. alias Martin B. ist Samstagabend im Gerasdorf kaltblütig erschossen worden. Nach dem Attentat auf einem Firmengelände hat die Polizei bereits zwei Verdächtige festgenommen. Sie befinden sich in der Justizanstalt Korneuburg. Vieles deutet darauf hin, dass der Mord ein politisches Attentat war. Was wir über den Fall bisher wissen und warum ein Tschetschene in Österreich Opfer eines Polit-Mordes geworden sein könnte, das erklärt Russland-Korrespondent André Ballin vom STANDARD. André, Mamuchan U. oder auch Martin B. ist am Wochenende in Gerasdorf ermordet worden. Was wissen wir denn bisher über den Fall?

André Ballin: [00:00:51] Na ja, so richtig viel natürlich nicht. Er wurde erschossen und es sieht alles nach einem Auftragsmord aus. Die zwei Tatverdächtigen sind wie das Opfer beide Tschetschenen, das ist bisher bekannt.

Antonia Rauth: [00:01:05] Martin B. ist 2005 von Tschetschenien nach Österreich geflüchtet und hat hier politisches Asyl bekommen. Warum musste er seine Heimat Tschetschenien denn verlassen? Welcher Konflikt schwelt dort?

André Ballin: [00:01:17] Warum er seine Heimat verlassen musste, das ist eigentlich gar nicht so ganz klar. Aus der tschetschenischen Community heißt es, dass Mamuchan wohl keinen Separatistenkämpfer gewesen ist. Er hat keine Züge gesprengt, keine Terroranschläge verübt oder Geiseln genommen. Und er ist auch nie als Vertreter dieser Republik Itschkeria, wie Tschetschenien unter der Herrschaft der Islamisten hieß, aufgetreten. Er selbst soll sich aber zumindest mal als ehemaliger Ermittler in den Reihen des Geheimdienstes der Separatisten der Republik bezeichnet haben. Und klar auf jeden Fall eins: er hatte ein sehr schlechtes Verhältnis zu Ramsan Kadyrow. Deswegen ist er wahrscheinlich auch geflohen. Zu dem zweiten Teil deiner Frage, welcher Konflikt dort schwelt: Wir hatten im letzten Vierteljahrhundert zwei blutige Kriege in der Region. Nach der Auflösung der Sowjetunion hat gerade im Kaukasus, sagen wir mal, haben die Fliehkräfte eingesetzt. Und es wurden die gestärkt, die sich vom Zentrum in Moskau lösen wollten. Teilweise durch Boris Jelzin bestärkt, der im Machtkampf mit Michail Gorbatschow damals den Regionen geraten hat, sich so viel Freiheit wie möglich zu nehmen. So war sein Spruch damals.Die Tschetschenen haben das sehr wörtlich genommen und haben sich sozusagen abgespalten, damals, Anfang der Neunziger, von Russland. Das hat man eine Zeitlang hingenommen und dann vor den Wahlen, im Prinzip in den Präsidentenwahlen 1996 und schon vorher, hat man gedacht: Nichts ist besser als ein kleiner kurzer Krieg, um die Popularitätswerte zu erhöhen. Und so hat man meint, man könne Tschetschenien wieder zurückholen. Aber der erste Tschetschenienkrieg ist ja ziemlich böse ausgegangen für Moskau, der zweite unter Putin, dann um die Jahrtausendwende, auf jeden Fall einmal besser. Man hat also sozusagen die Rebellen oder Separatisten dort geschlagen. Offiziell ist der Krieg inzwischen längst vorbei, und die meisten Warlords sind ja auch schon tot. Aber ein Pulverfass, würde ich sagen, ist die Region immer noch. Deswegen wird ja Kadyrow in Moskau hofiert. Er hat die Situation unter Kontrolle gebracht, mit brutaler Gewalt natürlich und mit teilweise der gleichen Ideologie wie die Separatisten selbst. Die Scharia gilt dort mehr als die Verfassung. Aber zumindest nach außen hin ist es ruhig.

Antonia Rauth: [00:03:32] Du hast den tschetschenischen Machthaber Kadyrow jetzt schon erwähnt. Martin B. war in der tschetschenischen Community in Österreich ja kein Unbekannter. Vor allem, da er diesen Machthaber Kadyrow in YouTube-Videos sehr kritisiert und richtiggehend beschimpft haben soll. Kurz erklärt: wer ist denn dieser Machthaber Kadyrow? Und warum ist es so gefährlich, sich mit ihm anzulegen?

André Ballin: [00:03:55] Vorweg: Ich kann keinen Tschetschenisch sondern nur Russisch. Genau weiß ich also nicht, was er gesagt hat. Aber was ich so aus den russischen Quellen erfahren habe oder wie das übersetzt wurde, war eigentlich weniger inhaltliche Kritik als wirklich wüste Beschimpfungen an Kadyrow. Das ist natürlich gefährlich. Kadyrow ist ja im Krieg groß geworden, und das hat natürlich seine Persönlichkeit geprägt. Er gilt als sehr grausam. Menschenrechtler werfen ihm Entführungen, Folter und Morde vor. Und dabei geht er nicht nur gegen mutmaßliche Terroristen vor, sondern auch gegen deren Familienangehörige. Gegen sexuelle Minderheiten auch, Schwule und Lesben in Tschetschenien. Sein Informationsminister hat nachher gesagt, in Tschetschenien gebe es so was gar nicht. Oder er geht auch gegen Menschen vor, die ihn einfach nur kritisieren. Er hat die absolute Macht, er bestimmt über Leben und Tod.

Antonia Rauth: [00:04:46] Wie muss man sich das Leben dort also vorstellen? Was herrschen da für Zustände in dieser russischen Teilrepublik Tschetschenien?

André Ballin: [00:04:53] Naja, ist wie eine absolute Monarchie. Einerseits kann man sagen, dass nach den Kriegen Grosnyj auch dank reichlicher Finanzhilfe aus Moskau wieder aufgebaut wurde und glänzt. Aber die Menschen sind eigentlich trotzdem relativ arm, und zudem gibt es in Tschetschenien immer noch das Clan-System. Wer dem richtigen Clan angehört, hat die Möglichkeit, aufzusteigen, Karriere zu machen, und wer nicht, der sieht eben anderen dabei zu.

Antonia Rauth: [00:05:20] Kann man ungefähr einschätzen, wie die Tschetschenen selbst ihre politische Führung beurteilen? Wie unzufrieden sind sie?

André Ballin: [00:05:28] Offene Kritik wagt da kaum jemand. Wer seine Unzufriedenheit äußert, der bekommt dann auch schnell die Folgen zu spüren. Da muss derjenige gar nicht mal in Tschetschenien selbst leben. Kadyrows Häscher sind eben überall. Aber was mir da einfällt, ist ein Fall, der symptomatisch ist, der gerade erst passiert ist. Im Prinzip haben Ärzte und Krankenschwestern über die schlechte medizinische Ausrüstung im Kampf gegen die Corona-Krise geklagt, und einen Tag später stammeln sie dann im tschetschenischen Regionalfernsehen so eine Entschuldigung, dass sie da was verwechselt haben und noch nicht gewusst hätten, wie gut sich die Region auf die Krise vorbereitet hat. Man sieht, die Einschüchterung funktioniert dann hervorragend, und ich habe mit ein paar Tschetschenen gesprochen, die in Russland, aber eben nicht in Tschetschenien selbst leben. Und das Interessante ist, wenn man sie fragt: Die klagen natürlich, dass sich Kadyrow schamlos bereichert. Sie sind aber andererseits auch ein bisschen stolz darauf, dass ein Tschetschene den starken Mann markiert in Russland und sein Name Angst und Schrecken verbreitet.

Antonia Rauth: [00:06:24] Nun noch einmal zurück nach Österreich. Auch wenn Martin B. ein politischer Gegner und Kritiker Kadyrows war, ihn sogar wüst beschimpft haben soll. Ist es denn wirklich vorstellbar, dass er deshalb in Österreich von einem Auftragskiller ermordet wird?

André Ballin: [00:06:38] Ja, das ist plausibel, überaus plausibel. So geht es vielen Kritikern in Europa. Zuletzt wurde im Februar in Frankreich ein tschetschenischer Blogger ermordet, der Kadyrow kritisiert hatte. In Schweden ist darauf ein Anschlag auf einen weiteren Blogger schiefgegangen. Aber das heißt eigentlich nur, dass der nächste Killer losgeschickt wird. Auch der Skandal um den Mord im Berliner Tiergarten. Den haben ja viele noch in Erinnerung, und der hat die deutsch-russischen Beziehungen ziemlich belastet. Das ist immer das Gleiche. Die Killer erschießen ihre Opfer dann meist auf offener Straße und geben sich gar nicht mal so große Mühe, sich zu verstecken oder nicht gefasst zu werden. Die Angst vor der europäischen Justiz ist in dem Fall kleiner als die vor der Wut Kadyrows.

Antonia Rauth: [00:07:22] Kann man gerade in Österreich auch Parallelen ziehen zu dem Fall von 2009, in dem Umar Israilow erschossen wurde?

André Ballin: [00:07:30] Klar, auch da gibt es natürlich Parallelen. Mamuchan U. War natürlich kein gefährlicher Zeuge, aber er hat gegen Kadyrow ausgeteilt. Und Israilow wollte gegen Kadyrow aussagen, hat Polizeischutz beantragt, nicht bekommen und wurde dann auf offener Straße erschossen. Klappt als Abschreckung ganz wunderbar.

Antonia Rauth: [00:07:47] Dann noch einmal zurück zur politischen Dimension dieses Tschetschenien-Konflikts. Kadyrow ist ja im Grunde ein waschechter Diktator. Nach allem, was du jetzt auch geschildert hast, wieso wird er dann vom Kreml trotzdem weiterhin toleriert und sogar unterstützt?

André Ballin: [00:08:02] Ich hatte es oben schon kurz angesprochen, also vorhin. Er hat Ruhe nach Tschetschenien gebracht. Der Konflikt hat ja ja auch tote Soldaten in Russland gefordert, und das wollte natürlich Moskau vermeiden. Jetzt sorgt Kadyrow dort mit seiner eigenen Truppe für Ordnung. Die heißen Kadyrowtsy. Um es mal salopp auszudrücken: Wer nicht spurt, muss sich keine Sorgen um ein ordentliches Gerichtsverfahren machen.

Antonia Rauth: [00:08:25] Was bedeutet dieses Attentat denn nun für die Beziehungen zwischen Österreich und Tschetschenien bzw. zwischen Österreich und Russland? Kann das Auswirkungen haben?

André Ballin: [00:08:33] Das kommt natürlich auf die Reaktionen in Wien an. Moskau wird natürlich alle Schuld von sich weisen. Beweist erst einmal, dass wir oder einer von uns dahinter steht. Das ist der übliche Tenor und das wird auch jetzt so sein. Die Deutschen haben im letzten Jahr damit reagiert, dass sie russische Diplomaten auf den Mord hin ausgewiesen haben. Und die Russen reagieren auf so etwas immer gleich. Aber wenn Sebastian Kurz beim nächsten Treffen mit Putin sagt "Schwamm drüber", dann hat man natürlich in Moskau nichts dagegen, business as usual zu machen.

Antonia Rauth: [00:09:01] Du hast vorhin schon angebracht, dass, falls er sich hier wirklich um einen Auftragsmord gehandelt hat, das kein Ausnahmefall in Europa ist. Denkst du also, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein könnte, dass der Tschetschenien Konflikt auch in Österreich Menschenleben fordert?

André Ballin: [00:09:15] Nein, das denke ich nicht. Es gibt ja eine ganze Reihe von Tschetschenen in Europa und Österreich, die dem Kadyrow nicht grün sind. Und er bestreitet zwar, dass es so eine Abschussliste gibt, aber im Prinzip daran zu zweifeln ist naiv. Da wird noch eine ganze Menge vorfallen.

(red, 9.7.2020)