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Die neue Regierung in Paris ist noch keine Woche alt, da gibt es für sie schon Ungemach. Eigentlich wäre es vorhersehbar gewesen, denn gegen den neuen Innenminister Gérald Darmanin, der als talentierter 37-Jähriger mit großer politischer Zukunft gilt, wird bereits seit Juni wegen Vergewaltigung ermittelt.

Darmanin bestreitet nicht, mit einem Callgirl Sex gehabt zu haben, bezeichnet diesen aber als einvernehmlich. Die Ex-Prostituierte aber sagt, sie habe Darmanin 2009, als dieser noch Rechtsberater der konservativen Partei UMP gewesen war, um eine Intervention gegen ihre Verurteilung wegen Erpressung gebeten.

Darmanin habe sie dafür zu Sex genötigt. Mangels Beweisen ist der Fall – wie so oft – höchst strittig. Ein erstes Verfahren war 2018, als Darmanin Haushaltsminister war, eingestellt worden. Ein Jahr später ordnete das Berufungsgericht allerdings die Wiedereröffnung an.

Darmanin wird auch von einer zweiten Frau außergerichtlich beschuldigt, sich einen politischen Dienst mit sexueller Gefälligkeit erkauft zu haben. Der geschiedene und kinderlose Gaullist bestreitet jede Schuld und hat Verleumdungsklage eingereicht.

Verhör mit dem Chef

Das Pikante ist, dass die Polizisten, die den Minister verhören werden, seine Untergebenen sind. Im sehr hierarchischen Staatsaufbau Frankreichs ist das nicht ohne. Darmanin erklärte am Donnerstag, die Polizisten stünden bei Einvernahmen unter der Aufsicht von Untersuchungsrichtern.

Das wirft allerdings ein zweites Problem auf. Neuer Justizminister ist Eric Dupont-Moretti, dem Feministinnen qualifizierten Machismus vorwerfen. Der bisherige Staranwalt hatte prominente Politiker verteidigt, die der Vergewaltigung bezichtigt wurden, und den Klägerinnen dabei eine "Logik der Rache" unterstellt. Als die Nationalversammlung 2018 ein Gesetz gegen Sexismus verabschiedete, monierte Dupont-Moretti die "Hyper-Reglementierung", die dazu führe, dass Aussagen der Klägerinnen "geheiligt" würden.

Darmanins und Dupont-Morettis Berufungen stießen diese Woche umgehend auf Kritik von Frauenverbänden. Die sozialistische Senatorin Laurence Rossignol bezeichnete die Doppelernennung als "grandiose Ohrfeige" für alle Französinnen.

Riskante Personalentscheidung

Macron war sich des "Risikos Darmanin" zweifellos bewusst. Sein Pressedienst hatte schon am Tag der Regierungsbildung verlautbart, die Gerichtsklage gegen den Minister stelle "kein Hindernis" dar. Das Verfahren sei zudem "auf gutem Weg" – mit anderen Worten, es laufe wie die Vorgängerklagen auf eine Einstellung hinaus. Viele Juristen fragen nun, woher der Élysée-Palast wissen wolle, wie die unabhängige Justiz zu entscheiden gedenke. Andere Kommentatoren gehen noch weiter und halten Macrons Personalpolitik für "stümperhaft". Möglicherweise habe der politisch isolierte Präsident keine soliden Namen zur Verfügung.

Ebenso plausibel scheint die These, dass Macron konservative Minister wie Darmanin bewusst befördern wollte. Der Präsident umgarnt heute offen die gemäßigte Rechte, weil er bei den Präsidentschaftswahlen von 2022 einen konservativen Widersacher fürchtet. Vielleicht wollte er auch Darmanin mit dem hohen Posten neutralisieren. Der ehemalige Vertraute von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wäre durchaus in der Lage, 2022 selbst anzutreten.

Angesichts des Entrüstungssturms gegen die Doppelernennung Darmanins und Dupont-Morettis ist es nicht einmal sicher, dass die Affäre erst durch das Gerichtsurteil entschieden wird. (Stefan Brändle, 8.7.2020)