Eine Nominierungsrede vor halbleeren Rängen kommt für Donald Trump nicht infrage, daher besteht er darauf, vor abertausenden Fans sprechen zu dürfen – ein Risiko in Corona-Zeiten.

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Dexter V. Davis ist vor Gericht gezogen. Eine Kundgebung mit 15.000 Teilnehmern abzuhalten, nicht im Freien, sondern in einer Halle, das wäre eine akute Gefahr für Gesundheit und Wohlergehen der Bürger von Jacksonville, schreibt er in seiner Klageschrift. Die Adressaten sind, neben der Stadtverwaltung, die Republikanische Partei und der Präsident der Vereinigten Staaten.

Bei der Halle handelt es sich um die Vy Star Veterans Memorial Arena, die modernste der 900.000-Einwohner-Stadt im Norden Floridas. Am 27. August will Donald Trump dort eine Rede halten, danach soll es Konfetti regnen, sollen Luftballons in Blau, Weiß und Rot durch den Saal schweben. Der Nominierungsparteitag der Konservativen dürfte seine Kandidatur für die Wiederwahl bereits abgesegnet haben, wenn der Protagonist ans Pult tritt. Da aber ein Auftritt vor halbleeren Rängen in Trumps Augen eine Zumutung wäre, sollen ausnahmslos alle Plätze besetzt sein.

Dexter sieht das anders: Säßen die Leute dicht an dicht, ohne Abstandsregeln, hätte das eine massive Ausbreitung des Coronavirus zur Folge. Deshalb fordere er die Republikaner auf, ihre Pläne zu ändern. Wenn die Veranstaltung überhaupt stattfinde, müsse die Teilnehmerzahl auf maximal 2.500 reduziert werden. Neben dem Rechtsanwalt klagt Curtis Booker, Pfarrer einer Kirche, die sich in Nachbarschaft der Halle befindet: Viele seiner Gottesdienstbesucher seien betagte Menschen, die man eines Kongresses wegen keinem höheren Ansteckungsrisiko aussetzen dürfe.

Gefahr für Stammkunden

Dana Miller, Besitzer eines Friseursalons, befürchtet wiederum, dass Delegierte auf die Idee kommen könnten, sich bei ihm die Haare schneiden zu lassen. Es würde ihn zwingen, den Laden zu schließen, um seine Stammkundschaft nicht zu gefährden. Nach den Statistiken der Seuchenschutzbehörde sei die Ansteckungsgefahr für schwarze Amerikaner dreimal höher als für weiße. Und Trumps Arena liege in einem mehrheitlich afroamerikanischen Viertel.

Bestätigt werden die Sorgen, die sich Davis, Booker, Miller und andere machen, durch alarmierende Zahlen aus Tulsa: In der zweitgrößten Stadt Oklahomas hatte der US-Präsident vor knapp drei Wochen geredet. Zwar blieben etliche Sitze im BOK Center leer, doch eine Veranstaltung mit 6.200 Fans reichte offenbar schon, um die Kurve der bestätigten Infektionen steil nach oben gehen zu lassen.

Zahlen in Tulsa steigen an

Am Mittwoch wurden im Tulsa County, dem Verwaltungsbezirk, in dem die Stadt gleichen Namens liegt, 261 neue Fälle festgestellt, der höchste Stand seit Beginn der Epidemie. Bereits am Dienstag waren es 206 gewesen – nahezu das Dreifache dessen, was in der Woche vor Trumps Veranstaltung an einem durchschnittlichen Tag gemeldet worden war. Der Chef des örtlichen Gesundheitsamts, Bruce Dart, wollte zwar nicht explizit einen Zusammenhang zwischen den Zahlen und Trumps Wahlkampfspektakel herstellen; er nannte es jedoch "mehr als wahrscheinlich", dass Großereignisse, die Kundgebung im BOK Center ebenso wie Gegendemos, zu dem Anstieg beigetragen hätten.

Nach Ansicht von Celine Gounder, einer New Yorker Epidemiologin, die sich regelmäßig via Podcast zu Wort meldet, lässt das amerikaweite Gesamtbild nur einen Schluss zu: Covid-19 breitet sich mit wachsendem Tempo aus. Allein mit ausgebauten Testkapazitäten lasse sich der Trend nicht erklären, betont die Medizinerin im Widerspruch zu den Statements des Weißen Hauses. Anfangs hatte es drei Monate gedauert, bis in den USA eine Million Fälle bestätigt waren. Binnen sechs Wochen war die Zwei-Millionen-Marke erreicht, dann verging gerade einmal ein knapper Monat, bis die Schwelle von drei Millionen überschritten wurde.

Dagegen ging die Zahl der täglichen Todesfälle zuletzt zurück. Gounder begründet es mit der Tatsache, dass sich im Zuge lokaler Lockerungen zunehmend Jüngere ansteckten, Jahrgänge, bei denen die Krankheit in aller Regel nicht zum Tod führe. Allerdings, schränkt sie ein, drohe die Welle, die gerade durchs Land rolle, bald auch wieder ältere Menschen zu erfassen. Dann könnte auch die Sterblichkeitsrate von neuem ansteigen. (Frank Herrmann, 9.7.2020)