Die Aussichten für geschädigte Besitzer von Fahrzeugen aus dem Hause Volkswagen sind nun deutlich besser. Der Europäische Gerichtshof hat Wesentliches klargestellt.

Foto: AFP / Ina Fassbender

Wien/Luxemburg – Nun könnte es für alle Autohersteller, die bei Abgaswerten getrickst und Abgassysteme manipuliert haben, ungemütlich werden. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag klargestellt, dass die Volkswagen AG auch vor österreichischen Gerichten geklagt werden kann. Die beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) versammelten rund zehntausend Dieselkläger müssen nicht nach Wolfsburg pilgern, um ihre Schadenersatzansprüche im Dieselskandal einzuklagen.

Der EuGH hat in seinem Urteil klar gestellt, das Klagen im Land des Autokaufs zulässig sind, nicht nur in Niedersachsen, wo die Volkswagen AG ihren Sitz hat und die vor vier Jahren von Amts wegen für unzulässig erklärte Abschalteinrichtung im Abgasreinigungssystem entwickelt wurde. Damit können die Sammelklagen des VKI an 16 Landesgerichten in Österreich fünf Jahre nach Ausbruch des Dieselskandals fortgesetzt werden. Auslöser des Verfahrens war das Landesgericht Klagenfurt, das vom Gericht in Luxemburg eine grundsätzliche Entscheidung erbat.

Software-Update hilft nichts

Der Spruch ist klar wie selten ein höchstgerichtlicher Spruch. Selbst das Software-Update, mit dem Volkswagen die weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Škoda, Seat und Porsche aufrüstete, um die Fahrzeugzulassungen nicht zu verlieren, ändert nichts am Mangel. Denn der Schaden ist nach dem Erkenntnis des Höchstgerichts in der Europäischen Union bereits beim Erwerb eingetreten. "Der EuGH hat mit seinem heutigen Urteil Verbrauchern den Weg zu einer grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung erleichtert", sagt VKI-Vertrauensanwalt Alexander Klauser, der das Erkenntnis gemeinsam mit seinem auf Dieselklagen spezialisierten Kollegen Michael Poduschka erwirkt hat.

Anders als der von Volkswagen beauftragte Dekan der juridischen Fakultät, Paul Oberhammer, vermeinte, ist nicht Braunschweig der einzig mögliche Gerichtsstand, sondern der Ort des Fahrzeugkaufs. "Obwohl diese Fahrzeuge bereits beim Einbau dieser Software mit einem Mangel behaftet waren, ist davon auszugehen, dass sich der geltend gemachte Schaden erst zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Fahrzeuge durch ihren Erwerb zu einem Preis, der über ihrem tatsächlichen Wert lag, verwirklicht hat", heißt es im Urteil. Es ist somit ein Primärschaden – und auch kein reiner Vermögensschaden. Die Argumentation, Braunschweig sei objektiv am besten für die Beweiserhebung und Prozessdurchführung geeignet, sach- und beweisnah, geht damit ins Leere.

Druck steigt

Die Volkswagen AG nehme die Entscheidung des EuGH zur Kenntnis und vertraue in den weiteren Verfahren auf die Gerichte in Österreich, teilte der Konzern via Austria Presse Agentur mit. Die Zuständigkeitsfrage der österreichischen Gerichte für die Sammelklagen sei bisher unbeantwortet und daher zu prüfen gewesen. verteidigten die VW-Anwälte von Freshfields Bruckhaus Deringer die von Konsumentenschützern als Verzögerungstaktik gegeißelte Vorgangsweise.

Nun steigt der Druck, doch noch einen Vergleich nach Vorbild der deutschen Verbraucherschützer zustande zu bringen. Sie hatten in der Musterfeststellungsklage für ihre Klienten zwischen 1.200 und 6.000 Euro Entschädigung ausverhandelt. Der EuGH habe der Verzögerungstaktik von Volkswagen eine klare Absage erteilt, so der VKI. "Fünf Jahre nach Bekanntwerden des Skandals ist es höchste Zeit, dass österreichische Geschädigte angemessen entschädigt werden", mahnte VKI-Juristin Ulrike Wolf. Auch die Arbeiterkammer forderte einmal mehr eine Lösung für die Verbraucher.

Weitere Munition

Weitere Munition ist in der Pipeline, denn beim Europäischen Gerichtshof liegen weitere Fälle zur Erklärung. Die französische Staatsanwaltschaft hat die "Thermofenster" genannte temperaturabhängige Abschaltvorrichtung beim EuGH anhängig gemacht. Dabei wird die Abgasreinigung – von Behörden wie dem deutschen Kraftfahrtbundesamt geduldet – bei bestimmten Temperaturen automatisch abgeschaltet, zum Schutz des Motors, wie die Hersteller sagen. Das führt jedoch dazu, dass die Abgasreinigung nur zwischen 15 und 33 Grad aktiv ist, also im Winter gar nicht. Diesen Spruch erwarten mit der Materie befasste Personen im Herbst.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wiederum hat die Zinsen im Visier, die für die Nutzung eines Mangelfahrzeugs in Rechnung gestellt werden dürfen. Sie sind in Österreich so hoch, dass der Schadenersatzanspruch bereits wenige Jahre nach dem Erwerb des Kfz durch das Nutzungsentgelt, das der Autohersteller beim Umtausch des Mangelfahrzeugs in Rechnung stellen darf, egalisiert wird. Dieser Thematik ist, wie zahlreiche andere auch, beim Obersten Gerichtshof in Wien anhängig.

60 Millionen Euro Streitwert

Der Streitwert der vom VKI eingebrachten Sammelklagen österreichischer Prägung beläuft sich auf rund 60 Millionen Euro. Nun sind die Kärntner Landesrichter wieder am Zug, sie müssen inhaltlich über die Schadenersatzklagen für 574 betroffene Autokäufer entscheiden.

Rückenwind hatten die Kläger vor wenigen Wochen vom BGH in Karlsruhe erhalten, der Volkswagen wegen arglistiger und verwerflicher Täuschung sowie sittenwidriger Schädigung aus Profitgier verurteilt hatte. Nach Ansicht des VKI und seiner Anwälte müssen betroffene Autofahrer nunmehr keine Verjährung ihrer Ansprüche mehr fürchten, weil die vom BGH attestierte "qualifizierte Schädigung" eine 30-jährige Verjährung wie im Strafrecht auslöse. Jene rund 300.000 Betroffenen, auch anderer Automarken, die bisher nicht zu Gericht gegangen sind, hätten jetzt gute Chancen in einem Verfahren, sagt Anwalt Poduschka, Auf Österreich übersetzt bedeute das BGH-Urteil: "Es war Betrug." Das könnte eine zweite Klagswelle auslösen, insbesondere bei Herstellern wie Daimler. (Luise Ungerboeck, 9.7.2020)