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Der kreative Workaholic Pablo Picasso am Strand mit der Malerin Françoise Gilot: Wer 50.000 Arbeiten hinterlässt, war nicht oft in Ferienstimmung.

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Die Blumen blühen klebrig und süß unter den Fenstern des Hotelzimmers. Auf dem Weg zum See flüstern die Bäume vor sich hin. – "Ach, so eine Sommerfrische ist etwas Herrliches!", seufzen Elektrotechniker und Gehirnchirurginnen auf den Badestegen des Landes. – "Lasst uns für immer hierbleiben!", rufen sich Anlageberaterinnen und Distributionslogistiker von Segelboot zu Segelboot zu.

Nicht so "der Künstler". Egal, ob männlich, weiblich oder dritten Geschlechts – egal, ob im singenden, tanzenden oder dichtenden Genre: Nie steht diese Berufsgruppe so sehr unter Druck wie in den Monaten Juli und August. Sommer, das bedeutet Urlaubszeit. Die Allgemeinheit ist sich einig: Jetzt ist die schönste Zeit des Jahres. Doch der schöpferische Geist erlebt die Idylle als einziges Wärmegewitter. Warum? Ihm fehlt das Talent für so viel Glück.

Zahltag

Das ganze Jahr über müssen Partner und Freunde die Launen und Selbstzweifel dieses Künstlers ertragen, seine manische Dauerbeschäftigung. – "Das Werk geht vor!", lautet eine beliebte Kampfansage, sobald die anderen ihm mit Ideen kommen. Nett gemeinte Freizeitvorschläge machen, wie Pilates-Workshops, Weinreisen oder gesellige Abendessen.

Jetzt ist Zahltag. Jetzt sind die Theoretiker und Rampensäue als Lebensmenschen gefragt. Als patente Ehemänner und geduldige Väter. Als anschmiegsame Gefährtinnen und aufopfernde Mütter. Erschöpfte Angehörige bestehen darauf. Falls notwendig, auch unter Androhung von Scheidung, Kindesentzug und Kontaktabbruch.

Aber wie, denkt man als ratlose Autorin, soll man die Frühstückspension am Mondsee genießen, falls die einflussreiche Agentin nach zehn Monaten "writer’s block" mit Rausschmiss droht? Wie, fragen sich Kollegen, soll man den fröhlichen Bootsführer seiner Kinder mimen, wenn einem der blöde Lektor gerade den Text verhunzt?

Es ist kompliziert

Mit einem Hang zur Egomanie klagt man: "Ach, wie können die Erwartungen der anderen doch anstrengend sein!" – Wollte man ursprünglich nicht jeder Norm entfliehen? Muss man denn unbedingt diesen Kochkurs machen? Auf Berge klettern? Endlos das gute Gespräch unter einem Sonnenschirm führen? Hat man denn nicht auf die Sicherheit einer Festanstellung verzichtet, um stattdessen über das große Ganze zu sinnieren – in aller Ruhe, wohlgemerkt? Man versteht die Idee. Allein, es fehlt der Wille. Man schafft es einfach nicht, die großen Ferien, dieses kollektive Ausspannen, als Krönung des eigenen Daseins zu begreifen.

Katastrophen-Tourismus

Auch Artverwandte im Freundes- und Bekanntenkreis stellen sich der Herausforderung: "Man macht keinen Urlaub, man hat ein Projekt", betont der bildende Künstler Thomas Draschan. "Sterbende Wälder anschauen und fotografieren, okay. Aber Urlaub? Undenkbar!" – Der gebürtige Oberösterreicher hat in diesem Sommer vor, gemeinsam mit seiner Berliner Freundin per Bahn-Express von einer Ökokatastrophe zur nächsten zu reisen. Romantische Zweisamkeit, so kann sie auch aussehen.

Unterschiedliche Vorstellungen von Romantik hatten Robert Palfrader und die Mutter seiner Kinder. Der Kabarettist und Schauspieler beschreibt die Annäherung: "Für sie wäre ein Strandurlaub mit Blick aufs Meer großartig, für mich eine Horrorvorstellung! Ich liebe Nordschweden, achtzig Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises. Selbst im Hochsommer trägt man dort eine Jacke. Herrlich! Ich kann halt mit der Hitze nichts anfangen.

Schließlich haben wir im Waldviertel, im Haus ihrer Großeltern, einen gemeinsamen Nenner gefunden. Hier gibt es eine kleine Werkstatt, in die ich mich gerne zurückziehe. Allein der Geruch entspannt mich. Aber ich arbeite in unserem Ferienhaus auch gerne mit Kollegen an Bühnen- oder TV-Projekten. Hier ist schon einiges entstanden."

Freizeit ohne neues Projekt. Das wäre für viele Experten eine perverse Vorstellung. – "Ich habe keine Hobbys. Deshalb bin ich froh, dass ich nach dem Shutdown wieder alle Hände voll zu tun habe", erzählt Salzburgs neue Buhlschaft, Caroline Peters. – "Die Konstruktion einer Arbeitspause interessiert mich nicht", sagt auch der Schauspieler und alternative Jedermann-Turbo, Philipp Hochmair. "Klausur, das macht Sinn. Eine Auszeit bedeutet für mich, Text zu lernen und an kreativen Prozessen zu schrauben."

Heimspiel am Großglockner

Andere sind da leichter zu haben, weil harmoniesüchtiger. Und so häufen sich regelmäßig am Beginn der Saison die besorgten Anrufe: "Ich bin dann mal weg. Drück mir die Daumen, dass ich die kommenden Wochen durchhalte", flehen Musiker und Regisseurinnen mit tonloser Stimme. Flehe ich selbst. Gegenseitig machen wir uns Mut.

Nur Joachim Lottmann, in Wien lebender Schriftsteller und Wirklichkeitsjongleur, hat angeblich für sich, spät aber doch, das Glück eines Jahreshaupturlaubes entdeckt: "Ferien waren für mich immer das Schlimmste auf der Welt, fast Todesstrafe. Meine Nerven konnten sich nur zu Hause erholen. Doch dann habe ich meine Frau kennengelernt. Heute kann ich mit ruhigem Gewissen sagen: Wo sie ist, da ist zu Hause, sogar auf dem Großglockner."

Schlaflose Nächte bereitet dem Popliteraten bloß eine Einladung nach Stanford: "Die liegt schon seit Jahren vor. Obwohl ich Langstreckenflüge zutiefst verabscheue, müssen wir da womöglich irgendwann hin."

Pyjamas und Weichkäse

Der clevere Kreative geht die Sache kaltblütiger an. Mit fantasiebegabter Borderline-Mentalität schwindelt er sich aus allen privaten Verpflichtungen heraus. Da werden Abgabetermine von "unerbittlichen" Galeristen oder Verlegern "auf das Rücksichtsloseste" vorverlegt. Da werden Flüge verpasst oder abgesagt. Da kommt einem ("leider, leider!") ein Venenleiden oder das Sauwetter in die Quere. Ja, es ist ein unwürdiges Spiel – oft genug habe ich es auch als Betroffene erlebt.

Schillernde Workaholics gehen erst gar keine Verpflichtungen ein. Blicken wir zum Beispiel auf die Genies, die ganz Großen: Ja, Picasso, im bretonischem Streifenshirt, spazierte zwar mit der wunderschönen Malerin Françoise Gilot am Strand (wir kennen die berühmten Fotos). Aber, klar: Wer nach seinem Tod ein Werk von 50.000 Arbeiten hinterlässt, war wohl nur minutenweise in Ferienstimmung.

Auch Hemingway gefiel sich in Badehosen-Posen, aber schrieb und trank sich nicht am Strand, sondern in seinem Arbeitszimmer durch den Tag. Ähnlich hielten es Frida Kahlo und F. Scott Fitzgerald. Nicht immer ging es dabei um die Weltherrschaft, oft genug auch ums lästige Geldaufstellen.

"Wirst du wieder die ganze Zeit arbeiten?", beklagte sich Zelda Fitzgerald in den 1930er-Jahren bei ihrem erfolgreichen Künstlergatten, nachdem sie an der sonnigen Côte d’Azur eine Villa mit Personal angemietet hatten. – "Und ich? Was mache ich? Mir ist sterbenslangweilig!" – Die mangelnde Aufmerksamkeit war wohl der Hauptgrund, warum das It-Girl der Jazz-Ära schließlich auch selbst zu schreiben begann.

Roland Barthes hat diesen Spagat in seinem 1957 erschienenen Essay Der Schriftsteller in Ferien beschrieben: "Dass der Schriftsteller etwas ganz Besonderes ist, zeigt die Tatsache, dass er während dieser famosen Ferien, die er brüderlich mit den Arbeitern und Verkäufern teilt, nicht aufhört, wenn nicht zu arbeiten, so doch zu produzieren. Nicht nur falscher Arbeiter ist er, sondern auch falscher Urlauber. Der eine schreibt seine Erinnerungen, der andere korrigiert Fahnen, der Dritte bereitet sein nächstes Buch vor. Und wer nichts tut, gesteht dies als wahrlich paradoxes Betragen, als avantgardistische Glanzleistung, die hervorzukehren nur ein starker Geist sich gestatten kann."

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Im Urlaub nichts neues? Der Schriftsteller Erich Maria Remarque mit seiner Paulette Goddard 1930 in Davos.
Foto: Reuters / Eduardo Munoz

Die Verbindung zwischen banaler Muße und dem Prestige einer Berufung – beim Homme de Lettres könnte das Resultat, so Barthes, nicht komischer sein: "Gewiss, auch er ist mit einer menschlichen Existenz versehen, mit einem Haus auf dem Lande, Shorts, einer Enkelin (…) doch seine Pyjamas und sein Weichkäse hindern ihn nicht daran, seine noble, weltenschöpfende Rede wiederaufzunehmen."

Geeignete Operationsgebiete

"Wer viel reist, hat mehr Unglück, aber auch bei weitem mehr Chancen als andere", heißt es in den Notizen von Walter Serner (Reisen und Hotels). Und weiter: "Überall ist es erträglich. Aber am erträglichsten ist es im Ausland." – Große Provinzstädte empfahl der Dadaist als "ganz besonders geeignete Operationsgebiete".

Auch weniger geniale Kunstarbeiter verstehen sich im Herzen als Spieler und Hochstapler. Man bemüht sich wenigstens, so zu tun, als ob. Im Produktionsprozess – und in der Sommerfrische: Man lobt den lieblos herausgebratenen Saibling im Ausflugslokal. Man ignoriert die Wasserschlange im Badeteich. Man wächst über sich selbst hinaus und spielt mit den Schwiegereltern Canasta.

Einer der ganz großen österreichischen Romanautoren (ich nenne keine Namen) hat die Sache mit dem Urlaub übrigens erfolgreich auf die Spitze getrieben. Zuerst fragte er mich, ob ich mit ihm nach Thailand fliege. Als ich erschrocken abwinkte, meinte er: "Das stellst du dir ganz falsch vor. Dort backen kleine Köchinnen in einer Strandbar echte Wiener Schnitzel heraus. Währenddessen kannst du im Liegestuhl liegen und auf einem riesigen Monitor den ganzen Tag Fußball schauen." – Ein Top-Angebot. Die Luftkur in Altaussee ist ein schlechter Witz dagegen.

Ein Jahr später mailte derselbe Autor einer kleinen Gruppe von Leuten zwei Monate lang detaillierte Beschreibungen von seinem Aufenthalt auf einer südpazifischen Insel. Erst als ein Freund ihn dort besuchen wollte und sich bereits einen Flug gebucht hatte, gestand er: "Leute nichts für ungut, war die ganze Zeit in Wien. Wollte einfach nur mal meine Ruhe haben!"

Ela Angerer ist Schriftstellerin und Fotografin. Zuletzt erschien ihr Roman "Und die Nacht prahlt mit Kometen" (Aufbau, 2016).
Foto: Heribert Corn

Vive la bohème

Die rachsüchtige Medea geben. Den Mond in einem Gedicht einfangen. Mit wenigen Pinselstrichen eine dystopische Landschaft entwerfen. – Solche Tätigkeiten gelten unter Normalbürgern als gewagte Unternehmen. Aus diesem Grund gesteht die Gesellschaft dem "Künstler" ein gewisses Recht auf Boheme zu. Stillschweigend erlaubt sie ihm, ein etwas individuelleres Leben zu führen.

Strand und zu viel Sonne bleiben trotzdem ein Risiko. Entweder zeigt sich zwischen Frühstücksbuffet und Sundowner, dass der Künstler als reine Privatperson erschreckend langweilig ist. Oder der Irrsinn nimmt von Badetag zu Badetag zu. In beiden Fällen gilt: Angehörige sind erst wieder in Sicherheit, wenn die Normalität des Alltags eingekehrt ist. (Ela Angerer, 12.7.2020)