Jagd nach einer Sprache, die das Leben fasst: Iris Hanika.

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Eröffnet wird das neue Buch von Iris Hanika mit einem Zitat von Daniil Charms. Der russische Schriftsteller und Lyriker lehnte sich in seinem Werk mit der Kraft der Sprache und des sprachlichen Experiments gegen die Sinnlosigkeit und Absurdität des Daseins auf. Dabei schwang häufig ein düster-fröhlicher Ton mit, der die eigentliche Hoffnungslosigkeit über das Dahinleben, in das wir mit der Geburt hineingeworfen werden, erträglicher, um nicht zu sagen, geradezu amüsant macht.

Auch für Iris Hanika ist die Sprache das Mittel, um Lebensformen auszuloten, sie in ein beschreibendes und begreifendes, man kann sagen, schönes Gewand zu hüllen, um so das Leben auszuhalten und ihm, eben, einen Sinn zu geben.

In einer dramaturgisch herrlich umgesetzten Episode des Romans kommt ihre Protagonistin mit dem mythisch tiefblickenden Namen Sophonisbe zu dieser Erkenntnis: "So lernte sie wieder einmal etwas über Kunst und Leben, Dichtung und Wahrheit, und begriff an diesem Beispiel (wieder einmal), dass Dichtung großartig ist und die Wirklichkeit platt, anstrengend und blöd, und dass es viel schöner ist, sich etwas auszudenken, als es in die Tat umzusetzen."

Wer andere Arbeiten von Hanika kennt, weiß, dass es keine klassischen Geschichten sind, die den Leser erwarten, sondern ein fröhlicher, vielschichtiger Tanz, um eine Sprache und eine Form zu finden, für das, was einen so durchs Leben trägt, schleift oder drängt.

Identitätskrisen

In Echos Kammern ist es vordergründig die Liebe, mit der sich alle auftretenden Personen unglücklicherweise in ihren reizüberfluteten Leben herumschlagen. Sie alle sind Großstädter, die Frauen im gehobenen Alter, und im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der sich akademisch an der komplexen und schwer zu fassenden Geschichte der Westukraine abarbeitet. Auch in diesem Thema spiegelt sich das grundlegende Muster der Identitätskrisen, die in dem Roman literarisch, poetisch und ironisch verhandelt werden.

Dieser Josh von der Eliteuni Yale ist ein in sich selbst verliebter Aufschneider mit "einem olympischen Strahlen", was Sophonisbe längst durchschaut hat, die zweite Protagonistin Roxana aber noch leidlich erfahren muss. Dieser wahnhafte und neurotische Liebesreigen wird wie ein antiker Mythos aufbereitet, aber durch sprachliche Einwürfe, kreative Spielereien aller Art und formtechnische Experimente immer wieder durchbrochen.

Der eigentliche Mythos, der als Klammer für Hanikas schillernd-sprudelnde und fröhlich-tragische Gegenwartsbegehung dient, ist der von Echo und Narziss, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und Echos Liebe nicht erwidern konnte.

Die Nymphe wiederum verlor ihre Fähigkeit, eigene Gedanken auszudrücken. Auch Hanikas Protagonisten spiegeln diese Elemente in unterschiedlichster Form in ihren Handlungen oder Psychogrammen wider. Das verleiht dieser ungewöhnlichen Arbeit den entsprechenden Tiefenraum, um nicht zu sagen, eine geräumige Echokammer, in der alles hoffnungslos zurückschallt.

Dass man sich gerne und mit Leichtigkeit in dieser hallenden und labyrinthartigen Echokammer bewegt, liegt an Hanikas Kunstkönnen, das von einer tänzelnden Leichtigkeit und herrlichen Heiterkeit getragen wird. "Mythen in Tüten" beispielsweise wird als Sophonisbes erster Gedichtband erwähnt, was nicht nur ein schönes ironisches Wortspiel ist, sondern wiederum auf eine Band der Neuen Deutschen Welle hinweist, die Anfang der Achtzigerjahre als musikalische Experimentierbewegung einer neuen Lust an der Selbstverwirklichung in den deutschen Städten entstand, worin sich wiederum ein weiterer Assoziationsraum des Buches auftut.

Iris Hanika, "Echos Kammern". € 22,– / 240 Seiten. Droschl-Verlag, Graz 2020
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Umfangen vom Himmel

Denn eine andere Projektionsfläche, auf der sich dieser wahnwitzige Liebesreigen abspielt, ist die der Großstädte New York und Berlin. Städte, die einst für Träume, Sehnsüchte, Freiheit und Selbstverwirklichung standen und die seit geraumer Zeit von der Walze der Gentrifizierung eingeebnet werden, womit sie ihre Freiräume zusehends verlieren.

Über Berlin heißt es: "Die Stadt wirkte wie eine unbewohnte offene Landschaft. Zwar waren Häuser und Straßen deutlich als städtische erkennbar, aber alles war weit, man konnte frei atmen, und der Himmel war keine rare Kostbarkeit, sondern umfing sie überall." In wunderbar poetischen Passagen beschreibt Hanika, was es bedeutet, wenn einer Stadt die Leere der Brachstellen genommen wird, in die man hineinleben und hineinträumen kann, und wenn der öffnende Blick auf den Himmel durch immer neue Investitionsbauten verengt wird.

Auch dies tut sie nicht mit Bitterkeit oder mit einer ideologisch gesalbten Attitüde, sondern mit der ihr verliehenen Zauberkraft der Sprache und mit verqueren Ideen. So lässt sie im Buch eine Protestbewegung gegen die neuen Investoren aufziehen, zu deren Höhepunkt die Berliner Philharmoniker zusammen mit Nina Hagen auf der Waldbühne aufspielen. Unter dem Motto: "Herz mit Schnauze voll".

In einer Zeit, wo Leichtigkeit und Heiterkeit und das Träumen und Wünschen ohnehin eingeschränkt sind, kommt dieser virtuose Roman gerade recht. Er verhilft zu einem Sommer, den es in diesem Jahr nicht geben wird. (Ingo Petz, 13.7.2020)