Foto: Carl Hanser Verlag

Bitte anschnallen, hier kann einem bei der Lektüre schwindlig werden! Autoren, die wie der Deutsche Niklas Maak aus dem Journalismus kommen, neigen ja oft dazu, ihre Romane mit Faktenwissen vollzustopfen. Das tut Maak sogar in besonders hohem Ausmaß – allerdings auch in einem derartigen Tempo, dass man gar nicht erst dazu kommt, sich die Frage zu stellen, wo hier die Romanhandlung endet und die Sachbuchbetrachtung beginnt. In "Technophoria" wird ein Feuerwerk an pointiert formulierten Gedanken abgezündet – und hilfreich war dabei sicherlich auch, dass Maak über den Journalismus hinausgehend einen akademischen Hintergrund hat (Schwerpunkt Architektur). Hier wurden also nicht einfach nur Gedankengänge stimmig zusammenrecherchiert und möglichst ansprechend formuliert, sondern frisch für uns erschaffen.

Technologische Visionen

Der Roman verknüpft zwei sehr unterschiedliche Technik-Visionen miteinander. Zum einen "Smart"-Technologien, die uns zu gläsernen Menschen machen, was zugleich das eigentliche Kernthema des Romans ist. Und zum anderen ein Mega-Projekt, das nicht nur im Geiste bis weit in die prädigitale Vergangenheit zurückreicht. Die Idee, die Qattara-Senke in Nordägypten durch einen Kanal mit dem Mittelmeer zu verbinden und so in ein riesiges Binnenmeer zu verwandeln, geht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Trotz mehrerer Anläufe wurde sie nie umgesetzt – aber in "Technophoria" soll es endlich so weit sein. Lesen wir, wie eine ägyptische Delegation bei Elon Musk antanzt und ihn um einen Hightech-Bohrer zum Graben des Kanals bittet:

Musk war erregt: die Dimension dessen, was ihm dort vorgetragen wurde, gefiel ihm. Die neuen Häfen könnten vollautomatisiert sein, Afrika könnte die modernsten Städte der Welt bekommen, mit intelligenten Häusern und selbstfahrenden Autos – in der Sahara könnte eine Startbasis für Marsraketen entstehen, dann wäre Afrika das Zentrum einer neuen, vielleicht bald intergalaktischen Welt! Die Delegierten nickten höflich: Erst mal wäre der Bohrer wichtig.

Diese Passage zu Beginn gibt nur einen milden Vorgeschmack auf die Rasanz, mit der das Kommende erzählt werden wird. Maaks Sätze sind im Galopp unterwegs, stets darauf erpicht, den Leser mitzureißen. Diese Daueraufgeregtheit – immer wieder mit Humor und Ironie geerdet – ist ein durchaus angemessener Erzählmodus. Entspricht er doch ganz der Taktik, mit der technologische Innovatoren ihre staunenden Zuhörer niederbügeln, wenn sie ihnen verklickern, was für fantaaastische Möglichkeiten ihre Entwicklungen bieten. Da bleibt keine Zeit, über mögliche problematische Konsequenzen nachzudenken. Oder über Fehler – pfff, wer macht die schon?

Hulot 2.0

Die Hauptfigur des Romans, Valdemar Turek, arbeitet für den Unternehmer Driessen, der wiederum beim berühmt-berüchtigten Wirtschaftsguru Daniel Doctoroff in die Lehre gegangen sein soll (eines von vielen Beispielen, wie sich in "Technophoria" Realität und Fiktion vermischen). Driessen träumt davon, die künftigen Sahara-Städte mit Smart-Homes zu befüllen – aktuell ist er gerade dabei, Berlin umzukrempeln. Turek ist sein PR-Sprachrohr und neuen Technologien gegenüber auch durchaus aufgeschlossen. Dummerweise erwidern die aber seine Liebe nicht: Am laufenden Band verstrickt er sich in Pannen und Missgeschicke.

Turek wird damit zu einer zeitgemäßen Entsprechung von Jacques Tatis tragikomischem Filmhelden Monsieur Hulot, der Mitte des 20. Jahrhunderts mit den Tücken dessen rang, was damals noch modern war. Auch "Technophoria", obwohl kein humoristisches Werk, hat mich immer wieder laut zum Lachen gebracht: Sehr schön etwa der Wutanfall von Tureks Freundin Aura, als sie bemerkt, dass die Überwachungskameras im gemieteten Ferienhaus doch nicht wie versprochen ausgeschaltet sind. Oder wenn Driessen nicht aus seinem autonomen Fahrzeug aussteigen kann und dieses anschließend herumsteht "wie ein schuldbewusstes Tier, das etwas gefressen hat, das es nicht fressen sollte". Highlight ist allerdings die kurze Irrfahrt eines selbstfahrenden Autos, das seine Umgebung falsch interpretiert und eine noble Gartenparty sprengt. Slapstick pur!

Zwischendurch geht Maak aber auch subtiler vor und führt uns die Absurdität von Situationen vor Augen, die uns längst als ganz normal erscheinen. Etwa wenn wir uns zur Autorisierung für den Besuch einer Website durch eine Ansammlung von Bildern mit vorgegebenem Motiv klicken müssen – um so einem Bot zu beweisen, dass wir keine Bots sind. Und der Journalist in Maak versteht es, Formulierungen auf den Punkt zu bringen: Da wird der Staat von Privatunternehmen auf die Rolle des britischen Königshauses reduziert ("respektiert, aber machtlos") und all die Wellness/Fitness/Happiness-Apps, die man uns aufdrängen will, werden als das entlarvt, was sie sind: andauernde hysterische Bemühungen um Todesvermeidung (was den Gedanken an den Tod natürlich erst recht dauerhaft in uns verankert).

An seltsamen Orten

Mitunter hat mich "Technophoria" ein wenig an Alastair Bonnetts Bücher über "Die seltsamsten Orte der Welt" erinnert. Da besichtigen wir etwa Reisfelder in der japanischen Provinz: Die Jungen sind längst in die Stadt gezogen, die Alten verrichten mit Hilfe von Exoskeletten die Feldarbeit. Und wenn die Alten wegsterben, machen die Exoskelette einfach alleine weiter. Oder wir besuchen eine Kommune in Frankreich, in der Filmvorträge über die "Roboterisierung des Menschen" gehalten werden. Oder nehmen an Tureks Ehrfurcht Anteil, als er eine gigantische Serverfarm erblickt: für ihn eine Stadt, die nur noch von Daten bewohnt wird – eine posthumane Welt und das Humanste überhaupt, die Gesamtheit aller Meinungs- und Gefühlsäußerungen.

Und der vielleicht absurdeste Ort von allen liegt im Kongo, wo sich Touristen und Tierschützer um die letzten Gorillas sorgen, unter deren Füßen die wertvollen Rohstoffe lagern, nach denen Konzerne gieren. Im Hotel sitzen die Vertreter all dieser Interessengruppen dann beisammen und speisen: Dumplings für die chinesischen Rohstoffhändler und Roadbuilder, die sich hier mit kongolesischen Geschäftsleuten trafen und aus den Hügeln das Coltan rausholten, das man zum Bau von Mobiltelefonen, Laptops und Elektroautos brauchte; Kaviar für die russischen Gasingenieure, die am Ostufer an einem neuen Verstromungsprojekt arbeiteten; fair gefangene Fische für die Mitarbeiter der NGOs, die oben in den Bergen versuchten, die Gorillas vor all denen zu retten, die hier unten neben ihnen saßen.

Ist's nun Science Fiction oder doch nicht? Auf jeden Fall ist's eine Empfehlung

Obwohl uns hier Smart-Häuser als bewohnbare Datenkraken präsentiert werden, möchte Maak seinen Roman nicht als simplen Technik-Alarmismus verstanden sehen. Wenn man sich allerdings anschaut, wo die diversen Protagonisten am Ende stehen (oder liegen), dann sind da schon deutliche Anzeichen einer Cautionary tale erkennbar. Maak betrachtet "Technophoria" übrigens auch nicht als Science-Fiction-Roman. Was wiederum witzig ist, denn genau für so etwas wurde der Begriff ursprünglich geprägt: für Gedankenspiele über die Möglichkeiten und Konsequenzen neuer Technologien.

Wahr ist allerdings, dass die hier beschriebenen Technologien keine Zukunftsfantastereien sind. Alles in "Technophoria" gehört zur Gegenwart, ist zumindest angedacht oder auch schon längst umgesetzt. Ganz, wie William Gibson sagte: Die Zukunft ist schon da – sie ist nur ungleichmäßig verteilt.