Linken-Politikerin Janine Wissler bei einer Demonstration gegen die rechte NPD. Sie wird nun mit dem Tod bedroht – und dabei werden ihr auch persönliche Daten über sie aus einem Polizeicomputer genannt.

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Wiesbaden – Rechtsextremisten haben offenbar Zugriff auf Daten in den Computern der deutschen Polizei. Das legen Drohbriefe nahe, die die hessische Linken-Politikerin Janine Wissler mittlerweile mehrmals erhalten hat. In diesen ist unter anderem ihre persönliche Wohnadresse zu lesen, auch weitere persönliche Daten sind aufgeführt, die nicht der Öffentlichkeit bekannt sind. Ähnliche Briefe erhielten später offenbar weitere Politikerinnen und Politiker.

Wissler hatte die ersten der Schreiben im Februar erhalten, weitere folgten in den vergangenen Tagen. Sie sind mit "NSU 2.0" signiert. Wissler wird darin auch mit einem "Tag X" gedroht, an dem sie die Polizei nicht mehr beschützen werde. Schon 2018 hatte die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız ähnliche Schreiben erhalten, nachdem sie im NSU-Prozess als Nebenklägerin aufgetreten war. In beiden Fällen waren die Daten der zwei Frauen zuvor in einem Polizeicomputer nachgeschlagen worden, einmal in Wiesbaden und einmal in Frankfurt.

Die NSU, der sogenannte "Nationalsozialistische Untergrund", war eine Terrorgruppe, deren Mitglieder in den Jahren 2000 bis 2007 zumindest neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin ermordeten, 43 weitere Mordversuche verübten und für drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich waren. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen war es immer wieder zu Pannen gekommen, lange glaubten die Ermittler fälschlich nicht an einen Zusammenhang zwischen den rassistisch motivierten Taten.

Späte Information von Fachminister

Dieser Tathergang, sagte nun der hessische Innenminister Peter Beuth, "nährt den Verdacht", dass es innerhalb der Sicherheitsbehörden ein rechtes Netzwerk geben könnte. Er erwarte von der Polizei, dass diese nichts unversucht lasse, um diesen Verdacht zu entkräften. Damit diese Nachforschungen nicht ebenfalls von einem möglichen Netzwerk in Mitleidenschaft gezogen werden, werde er einen Sonderermittler oder eine Sonderermittlerin einsetzen. Diese Person sollte direkt an die Landespolizeidirektion berichten. Beuth warf auch dem Landeskriminalamt Versäumnisse vor. Er habe erst am Mittwoch von der Abfrage im Polizeicomputer erfahren.

Wie die "Frankfurter Rundschau" berichtet, gingen auch Schreiben bei Linkspolitikerinnen und Linkspolitikern in anderen Bundesländern mit dem gleichen Absender ein. Laut der Zeitung hat sich eine Person unter diesem Namen am Freitag offenbar außerdem an die CDU-geführte hessische Landesregierung gewandt. Die Person leitet das Schreiben an Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Beuth mit den Worten "Heil Euch Kameraden!" ein und fordert die beiden anschließend auf, eine Erklärung auf der Homepage der Landesregierung zu veröffentlichen. Andernfalls droht er auch ihnen mit dem Tod. Der Drohbrief nimmt explizit auf die Aussagen Beuths vom Donnerstag Bezug.

"Vollkommen inakzeptabel"

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach den Fall am Donnerstag, vor Bekanntwerden der neuen Schreiben an die Landesregierung, an. Das Geschehen sei "vollkommen inakzeptabel". Seehofer hatte gemeinsam mit Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang den Verfassungsschutzbericht für 2019 vorgestellt und dabei von wachsender Gewaltbereitschaft extremistischer Gruppen gewarnt. Bei den Rechtsextremen habe es einen Zuwachs von zehn Prozent auf 22.300 Taten gegeben, bei Linken von 40 Prozent auf 6.400.

Darüber, ob Seehofer auch Fälle von Rechtsextremismus in der deutschen Polizei gesondert untersuchen wolle, hatte es Verwirrung gegeben. Zuerst berichteten Medien, Seehofer habe einen entsprechenden Plan wieder verworfen. Er selbst sagte später, dies entspreche nicht der Wahrheit. Allerdings will er mit Erfahrungsberichten statt mit einer Studie arbeiten. Auch ein ähnliches Vorhaben zu Rassismus bei den Sicherheitskräften will Seehofer nicht vollständig umsetzen.

Politiker der Linken kritisierten den Innenminister nach den jüngsten Enthüllungen massiv. Co-Parteichef Bernd Riexinger sagte, er sei entsetzt, dass seinen Kolleginnen kein Polizeischutz angeboten worden sei. Er spricht auch von einer Eskalation rechter Hetze, die er seit Monaten beobachten müsse. Wenn der Staat hier nicht einschreite, würden sich Rechtsextreme bestärkt fühlen. (mesc, 10.7.2020)