Regierungschef Giuseppe Conte begutachtete den ersten Test von Mose.

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Es war kurz nach 10 Uhr, als Italiens Regierungschef Giuseppe Conte am Freitag im Kontrollraum auf einer künstlichen Insel beim Lido von Venedig auf den Knopf drückte, der den Sperrmechanismus in Gang setzte. Danach dauerte es rund 90 Minuten, bis sich die einzelnen Elemente der Barriere langsam aus dem Wasser erhoben.

Es war – auch wenn es sich nur um eine Generalprobe handelte – ein historischer Moment: Erstmals in der Geschichte Venedigs wurde die Lagune bei ihren drei Eingängen vom offenen Meer getrennt. Genau so soll es auch in Zukunft sein, wenn Stürme und Starkregen den Pegelstand wieder steigen lassen und die Fluten des Meeres in die Lagune drängen.

Die Probe gilt als gelungen, aber: "Das Bauwerk ist noch nicht beendet, es wird weitere 18 Monate dauern, bis Mose ausgetestet und voll funktionsfähig sein wird", betonte die Sonderkommissarin Elisabetta Spitz. Danach werde es auch nicht mehr 90, sondern nur noch 30 Minuten dauern, bis die Hochwassersperre stehe. Die offizielle Einweihung der aufklappbaren Barriere soll nun laut Conte "im Herbst oder Winter dieses Jahres" erfolgen. Sonderkommissarin Spitz erinnerte an die "bewegte und kontroverse Geschichte" des Großprojekts: "Nun können wir ein Kapitel abschließen. Ich danke den Venezianerinnen und Venezianern für ihre Geduld."

Dringend notwendig

In der Tat redet man in Italien von der Notwendigkeit, das Weltkulturgut Venedig vor dem Untergang zu retten, schon lange. Genauer gesagt seit dem 4. November 1966, als das "Acqua Alta" die Rekordmarke von 194 Zentimetern über Normalpegel erreichte und immense Schäden anrichtete. Doch zunächst passierte einmal gar nichts. Erst 20 Jahre später, im Jahr 1986, kündigte der damalige sozialistische Ministerpräsident Bettino Craxi den Bau eines Sperrwerks an, das 1995 in Betrieb gehen sollte. Tatsächlich mit dem Bau begonnen wurde aber erst 2003 – zu einem Zeitpunkt, als das Werk längst hätte vollendet sein sollen.

Bei Mose handelt sich um Italiens größtes Infrastrukturprojekt der Nachkriegszeit – und um ein Symbol für politischen Schlendrian, Korruption und Bürokratiewahnsinn. Der Bau des Jahrhundertwerks wurde durch nicht weniger als vier Ermittlungsverfahren verzögert; dutzende Lokalpolitiker und Unternehmer, die sich an Mose unrechtmäßig bereichert hatten, wanderten hinter Gitter. Insgesamt – haben italienische Medien ausgerechnet – sind Schmiergelder in der Höhe von 250 Millionen Euro geflossen. Verzögerungen und Projektanpassungen haben die Kosten des Werks (inklusive Nebenanlagen) im Lauf der Jahre von den ursprünglich veranschlagten 5,5 Milliarden auf acht Milliarden Euro anwachsen lassen.

Rekordhochwasser 2019

Das verheerende Hochwasser vom vergangenen 12. November, als der Wasserstand auf 187 Zentimeter über dem Normalpegel stieg, den zweithöchsten Wert seit 1966, hatte den Druck auf die Fertigstellung des Großprojekts noch einmal erhöht. Nach der gelungenen Generalprobe erscheint der von Conte angekündigte Termin nun nicht unrealistisch. Dennoch haben selbst Ingenieure, die an dem Projekt beteiligt waren, ihre Zweifel: Die Probe fand bei bestem Wetter und Normalpegel statt – ob Mose auch dem gewaltigen Druck des aufgepeitschten Meeres und des Hochwassers standhalten wird, muss sich erst noch weisen.

Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels: Die Stürme, die das Wasser in die Lagune drängen, sind in den letzten Jahren bereits heftiger geworden und werden laut den Meteorologen weiter an Gewalt zunehmen. Vor allem aber wird laut den Prognosen der Klimaforscher der Meeresspiegel wegen dem Abschmelzen des Polareises und der Gletscher ansteigen. Das Jahrhundertbauwerk droht von neuen Wassermassen überfordert zu werden, für die es vor 40 Jahren nicht geplant war. (Dominik Straub aus Rom, 11.7.2020)