Mit dem nunmehr durchs Parlament gehudelten neuen Epidemiegesetz kann jetzt auch die Polizei nicht nur Identitäts- und Kontaktdaten, sondern auch "allfällige Krankheitssymptome" von "kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen" erfassen.

Leserin Johanna H. stellt sich das so vor: Polizei (in Uniform, pumpert an Tür, laut): "Aufmachen! Mia san wengan Corona do!" Entweder es wird geöffnet, oder es wird an die Nachbartür/en geklopft: "Wissen Se, wann die Frau Huber do is? De is a Corona-Verdachtsfall, und des muass rasch gehn!"

Übertrieben? Vielleicht. Aber jedenfalls haben alle drei Oppositionsparteien, SPÖ, FPÖ und Neos, in der Parlamentsdebatte dazu massive Kritik geübt. Der Präsident der Ärztekammer, Thomas Szekeres, sagt, es sei ein Armutszeugnis, wenn der Polizei "Befugnisse gegeben werden, für die sie nicht qualifiziert ist".

Polizeikontrolle am Wiener Naschmarkt.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker feuerte auf Facebook eine Breitseite ab: "Liebe Grüne, was ist los mit euch?" Hacker weiter: "Ihr macht die Polizei per Gesetz zu MitarbeiterInnen der Gesundheitsbehörde? Zu Gesundheitspersonal der AmtsärztInnen? Wie soll das gehen und warum macht ihr dabei mit? Dass die Türkisen mit ihren blauen Augen auf möglichst viel Polizei in allen Lebensbereichen stehen, das ist nicht neu und überraschend. Aber ihr als Grüne?"

Tatsächlich stellt sich für liberal denkende Bürger ein deutliches Unbehagen ein.

Im Innenministerium verweist man auf die geplante Praxis. Bisher seien diese Recherchen nach dem Auftauchen eines "Hotspots" von den Gesundheitsbehörden gemacht worden (telefonisch). Die seien aber wegen Personalmangels froh über die Unterstützung.

Fragebogen abarbeiten

Die grüne Klubobfrau Sigi Maurer bestätigt das im Wesentlichen. Es gehe darum, nicht mehr in einen zweiten Lockdown zu fallen und daher auftauchende Cluster möglichst effizient zu isolieren. Da sei es günstiger und schneller, wenn die Gesundheitsämter die Polizei mit einem Fragebogen losschicken, statt das selbst zu machen. In der Regel werde nicht an die Tür geklopft oder Fieber gemessen, sondern telefonisch ein Fragebogen abgearbeitet. Dasselbe können übrigens Grundwehrdiener tun, dafür gibt es schon das Gesetz über Assistenzleistung. Die Polizei (oder der Bundesheerler) leitet das dann an die Gesundheitsbehörde weiter. Im Innenministerium weist man dann noch süffisant darauf hin, dass die Legistik ja im Gesundheitsministerium von Rudolf Anschober geschaffen wurde.

Klingt plausibel. Allerdings ist der polemische Beitrag von Stadtrat Hacker auch nicht unfundiert: "Die ‚Ermittlung von allfälligen Krankheitssymptomen von Kranken‘ ist Teil der Diagnostik. Spielen gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonen, MTDs, SanitäterInnen etc. bei Gesundheitsfragen keine Rolle mehr? Mitbestimmung beim Gänseblümchen im Hinterhof und Polizei im Gesundheitsdienst per Gesetz – das ist euer neuer Weg?"

Und Hacker holt den Hammer heraus: "Solange ich Gesundheitsstadtrat bin", werde die Wiener Polizei nicht für so etwas eingesetzt.

Contact-Tracing ist in einer Epidemie notwendig. Aber Türkis steht unter (nicht unberechtigtem) Kontrollwahnverdacht. Und die Grünen sehen sich wieder zu etwas gezwungen, was epidemiologisch argumentiert werden kann, aber demokratiepolitisch verdammt nach einer potenziellen, administrativen Aushöhlung der Grundrechte aussieht. (Hans Rauscher, 10.7.2020)