Mike Skinner alias The Street. Nach langen Jahren Babypause meldet er sich ein bisserl erschöpft zurück.

Foto: Island Records / Universal

Im Pop einmal ganz vorn zu sein gelingt nur wenigen. Zu breit ist das Bewerberfeld für die paar Plätze, doch Mike Skinner hatte seinen Moment. Als 2002 sein Album Original Pirate Material erschien, war das eine Fusion aus Lebensgefühl und musikalischer Verve, die ihn aus dem Nichts ganz nach vorn katapultierte. Es war die Musik zur Stunde. Eine Mischung aus UK Garage und lapidaren Einzeilern über die Zerstreuung mit Wodka und Brandy. Seine Raps und Rants über Sneakers und Drogen pumpte er mit ramponierten Hip-Hop-Beats in die Clubs. Die Lads grunzten aufgeregt "Oi! Oi!" und signierten damit Skinners Beobachtung "Geezers need excitement".

Herkunftsträchtig nannte er sich für diesen Sound The Streets und bot eine rudimentär produzierte Alternative zu dem sich in komplexen Architekturen versteigenden Hip-Hop US-amerikanischer Machart jener Zeit.

Vater und Ehemann

Nach dem Erfolg seines Debüts wurde es aber rasch schwierig. Die Nullerjahre vergingen mit sukzessive schwächer werdenden Werken. Texte über die Widrigkeiten des Neureichtums boten den läufigen Clubbern eher wenig Identifikationsfläche.

2009 wurde er Vater, dann Ehemann, und plötzlich verspürte er eine Verantwortung abseits jener, die Eiswürfel im Drink nicht schmelzen zu lassen. 2011 erschien das letzte Album des heute 40-jährigen Briten, danach arbeitete er als DJ oder produzierte Filmmusik. Jetzt probiert er es erneut und veröffentlicht None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive.

The Streets - Topic

Der Country-Godfather Hank Williams formulierte diese Einsicht 1952 mit I’ll Never Get Out of This World Alive schon eloquenter. Doch im Vergleich zu Williams, der ein halbes Jahr später tatsächlich für immer auscheckte, wirkt Skinner gesetzt und stabil, wiewohl er auf aktuellen Fotos aussieht, als würde er den Bauch einziehen und die Luft anhalten.

Old Geezer

Aus dem die Nächte durchrasenden jungen Geezer ist ein Old Geezer geworden. Sogar seine immer noch breit den Dialekt bemühenden Texte wirken manchmal müde. So als möchte er vermeiden, an früheren Großtaten gemessen zu werden, versteht er diese Arbeit nicht als Album, sondern als Mixtape oder Duettplatte: eine Ansammlung von Tracks, eingespielt mit verschiedenen Gästen.

Am Cover klunkert eine schwere Kette: Neureichenschick. Es wirkt wie ein Relikt, ebenso das alte Nokia-Handy, das die Rückseite schmückt. Die Gästeliste stammt hingegen aus der Gegenwart. Bands wie Tame Impala oder die Idles sind dabei, Rapper wie Jimothy Lacoste, Jesse James Solomon oder Oscar #Worldpeace, eine Art schmusiger Ol’ Dirty Bastard.

Manische Energie

Daraus montiert Skinner eine Mischung aus Grime, Drum and Bass, Trap, eine Prise House und Konsolenscheppern, die durchaus ihre Momente hat. Etwa im grimmigen Titeltrack, bei dem die Post-Punk-Wiedergänger Idles berserkern, das schwüle I Know Something You Did streift an der Trap-Ästhetik an. Doch mit all den Leiharbeitern wirkt das Ergebnis wenig stringent.

The Streets - Topic

Da drängen sich Namen auf, die das besser machen: Kate Tempest raucht Skinner in ihrem Zerstäuber. The Streets gebricht es an der manischen Energie. Sein Leben, das früher Zehrgebiet seiner Kunst war, stellt heute offenbar keine aufregenden Sujets mehr zur Verfügung, dabei gäbe es Aufreger genug. Es ist ihm nicht anzukreiden, dass er nicht mehr 22 ist, nicht nur zwei Stunden Schlaf braucht und heute ein Müsli einem Speed-Frühstück vorzieht, doch man wird ihn immer daran messen, welch genialen Widerhall dieses Leben in seiner Musik fand.

Exy Music

Lediglich das mit seinem Haberer Chris Lorenzo produzierte Take Me As I Am besitzt jene Räudigkeit, die The Streets früher so herausragen ließ. Doch selbst hier gilt, dass es das heute von anderen besser gibt. Man braucht nur an die Sleaford Mods denken.

Früher ist vorbei

Das Duo aus Nottingham mag mit seiner Ästhetik knietief in der Schuld von The Streets stecken. Doch was es daraus macht, besitzt eine Besessenheit, die hier fehlt. Dabei sind die Mods älter als er. Nennen wir es die Gnade des späten Erfolgs. Skinner gelingen nicht mehr als zwei, drei gute Tracks.

In seiner Straße ist es ruhig geworden. Das haben noble Gegenden so an sich. Man geht früh zu Bett, das ist gesund und freut das Kind. Früher ist vorbei. (Karl Fluch, 10.7.2020)